Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
tun Sie denn?«
Holmes war zum Fenster getreten, hatte die Kerze angezündet und führte sie kreuz und quer über die Scheibe. Dann spähte er in die Dunkel heit hinaus, blies die Kerze aus und ließ sie zu Boden fallen.
»Ich glaube, das nützt«, sagte er. Danach stand er da tief in Gedanken versunken, während die beiden Detektive den Leichnam untersuchten.
»Sie sagten, drei Leute seien aus der Wohnung gekommen, solange Sie unten warteten«, sagte er schließlich. »Haben Sie sie genau betrachtet?«
»Ja.«
»War ein Bursche von ungefähr dreißig dabei, mit schwarzem Bart, dunkelhaarig, mittlere Größe?«
»Ja. Er ging als letzter an mir vorüber.«
»Ich denke, das ist Ihr Mann. Ich kann Ihnen eine Beschreibung von ihm geben, und außerdem haben wir einen ausgezeichneten Fußabdruck. Das sollte reichen.«
»Das hilft nicht viel, Mr. Holmes, bei den Millionen Menschen in London.«
»Vielleicht. Deshalb dachte ich mir, es wäre das beste, ich gebe Ihnen diese Dame als Gehilfin.«
Bei diesen Worten drehten wir uns alle um. Da stand im Türrahmen eine große schöne Frau – die geheimnisvolle Mieterin aus dem Hause in Bloomsbury. Langsam kam sie näher. Das bleiche Gesicht war von einem Ausdruck schrecklicher Sorge geprägt, die entsetzten Augen blickten starr auf die dunkle Gestalt am Boden.
»Sie haben ihn getötet!« murmelte sie. »O Dio mio! Sie haben ihn getötet!«
Dann hörte ich, wie sie plötzlich scharf die Luft einzog, und mit einem Freudenschrei sprang sie hoch. Sie tanzte im Zimmer umher und klatschte im Takt in die Hände, ihre dunklen Augen glühten vor freudiger Überraschung, und von ihren Lippen kamen tausend prächtige italienische Ausrufe. Es war schrecklich und verwirrend, diese Frau bei solch einem Anblick so von Freude geschüttelt zu sehen. Plötzlich hielt sie inne und starrte uns mit fragenden Blicken an.
»Und Sie? Sie sind doch von der Polizei? Sie haben Giuseppe Gorgiano getötet. Oder waren Sie es nicht?«
»Wir sind von der Polizei, Madam.«
Ihre Augen suchten die Schatten des Zimmers zu durchdringen.
»Aber wo ist denn Gennaro?« fragte sie. »Er ist mein Mann, Gennaro Lucca. Ich bin Emilia Lucca. Wir sind aus New York. Wo ist Gennaro? Er hat mich vor einigen Sekunden von diesem Fenster aus benachrichtigt, und ich bin gerannt, so schnell ich konnte.«
»Ich war es, der sie benachrichtigt hat«, sagte Holmes.
»Sie! Wie konnten Sie das?«
»Ihr Code war nicht schwierig, Madam. Ihre Anwesenheit war gefragt. Ich wußte, daß ich nur das Wort Vieni zu senden brauchte, und Sie würden kommen.«
Die schöne Italienerin sah meinen Gefährten scheu an.
»Ich verstehe nicht, wie Sie diese Dinge wissen können«, sagte sie. »Giuseppe Gorgiano – auf welche Weise ist er…« Sie stutzte, und dann plötz lich erhellte sich ihr Gesicht vor Stolz und Entzükken. »Nun begreife ich! Mein Gennaro! Mein herrlicher, schöner Gennaro, der mich vor allem Leid bewahrt, hat es getan, mit seinen eigenen starken Händen hat er den Unmenschen getötet! O Gennaro, du bist herrlich! Welche Frau kann eines solchen Mannes würdig sein?«
»Nun, Mrs. Lucca«, sagte der prosaische Gregson und legte der Dame die Hand auf den Arm, mit so wenig Rührung, als wäre sie eine Schlampe von Notting Hill, »mir ist noch nicht ganz klar, wer Sie sind und was Sie sind; aber Sie haben genug verlauten lassen, um uns klarzumachen, daß wir Sie beim Yard brauchen.«
»Einen Moment«, sagte Holmes. »Ich könnte mir vorstellen, daß die Dame genausosehr bestrebt ist, uns mit Informationen zu versorgen, wie wir, an sie heranzukommen. Sie müssen begreifen, Madam, man wird Ihren Ehemann verhaften und wegen des Todes dieses Mannes, der hier liegt, vor Gericht stellen. Was Sie sagen, kann als Beweis benutzt werden. Wenn Sie aber glauben, er hat aus Motiven gehandelt, die nicht verbrecherisch sind und die er bekanntzugeben wünscht, dann könnten Sie nichts Besseres für ihn tun, als uns die ganze Geschichte zu erzählen.«
»Jetzt, da Gorgiano tot ist, fürchten wir nichts mehr«, sagte die Dame. »Er war ein Teufel, ein Unmensch, und es kann auf der Welt keinen Richter geben, der meinen Mann bestrafen würde, weil er ihn getötet hat.«
»In diesem Falle«, sagte Holmes, »schlage ich vor, wir belassen hier alles so, wie wir es vorgefunden haben, schließen die Tür ab und gehen mit der Dame in ihre
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