Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
Namen ›Tod‹ erworben hatte, weil er von den Morden bis zu den Ellenbogen blutbefleckt war. Er war nach New York gekommen, auf der Flucht vor der italienischen Polizei, und hatte in seiner neuen Heimat schon eine Zweigstelle der Gesellschaft gegründet. Das alles erzählte mir Gennaro, und er zeigte mir eine Vorladung, die er gerade an dem Tage erhalten hatte. Auf den Briefkopf war ein roter Kreis gezeichnet, und meinem Mann wurde mitgeteilt, daß auf einen bestimmten Tag eine Versammlung anberaumt und daß seine Teilnahme unumgänglich und befohlen sei.
Das war schon schlimm genüg, aber es kam noch schlimmer. Mir war seit einiger Zeit schon aufgefallen, daß Gorgiano, wenn er uns abends besuchte, was er unausgesetzt tat, häufig zu mir sprach, und selbst wenn die Worte an meinen Mann gerichtet waren, ließ er seine glühenden Raubtieraugen auf mir ruhen. Eines Abends enthüllte er sein Geheimnis. Ich hatte in ihm etwas geweckt, das er Liebe nannte – die Liebe eines Scheusals, eines Wilden. Gennaro war noch nicht zu Hause. Gorgiano drängte sich in unsere Wohnung, packte mich mit seinen mächtigen Armen, umschlang mich wie ein Bär, bedeckte mich mit Küssen und flehte mich an, mit ihm zu fliehen. Ich wehrte mich und schrie. Da kam Gennaro herein und griff ihn an. Gorgiano schlug meinen Mann bewußtlos, floh aus dem Haus und betrat es nie wieder. Seit dem Abend hatten wir einen Todfeind.
Einige Tage später fand die Versammlung statt. Gennaro kam mit einem Gesicht zurück, das mir offenbarte, es müsse etwas Fürchterliches geschehen sein. Was geschehen war, war schlimmer, als wir uns überhaupt vorstellen konnten. Die Kassen der Gesellschaft wurden dadurch gefüllt, daß man reiche Italiener erpreßte und ihnen mit Gewalt drohte, wenn sie kein Geld zahlen wollten. Nun, schien es, war man an Castalotte, unseren lieben Freund und Wohltäter, herangetreten, und er hatte sich geweigert, die Drohungen nicht beantwortet und die Briefe der Polizei übergeben. Jetzt war festgelegt worden, daß an ihm ein Exempel statuiert werden sollte, um jedes andere Opfer davon abzuschrecken, Widerstand zu leisten. Die Versammlung hatte beschlossen, ihn samt seinem Hause mit Dynamit in die Luft zu sprengen. Lose wurden gezogen, um zu bestimmen, wer das Attentat auszuführen hätte. Als Gennaro die Hand in den Beutel steckte, sah er, wie das grausame Gesicht seines Feindes ihn anlächelte. Ohne Zweifel war das Ganze auf irgendeine Weise so manipuliert worden, daß er die verhängnisvolle Scheibe mit dem roten Kreis, den Auftrag zum Mord, ziehen mußte. Es gehört zu ihrem teuflischen System, daß sie nicht allein diejenigen, die sie fürchten oder hassen, bestrafen, sondern auch die von ihnen geliebten Menschen, und das Wissen darum war es, was als Drohung überm Haupt meines armen Gennaro hing und ihn so ängstigte, daß er fast den Verstand verlor.
Die ganze Nacht über saßen wir eng umschlungen, und einer stärkte den anderen; auf daß wir die Übel bestünden, die vor uns lagen. Der Anschlag sollte am nächsten Abend ausgeführt werden. Mittags waren mein Mann und ich auf dem Weg nach London; unserem Wohltäter hatten wir eine Warnung zukommen lassen, in welcher Gefahr er sich befand, und wir hatten auch die Polizei informiert, damit sie ihn in Zukunft schützen konnte.
Den Rest, Gentlemen, kennen Sie selbst. Wir waren sicher, daß uns unsere Feinde wie Schatten folgen würden. Gorgiano hatte seinen besonderen Grund zur Rache, und wir wußten, wie unbarmherzig, schlau und unermüdlich er sein konnte. Italien und Amerika sind voll von Geschichten über seine fürchterliche Macht. Wenn er jemals entschlossen war, sie auszuüben, dann jetzt. Mein geliebter Mann nutzte die wenigen Tage, die wir Vorsprung hatten, mir eine Zuflucht zu verschaffen, damit ich keiner Gefahr ausgesetzt war. Er selbst wollte frei sein, um mit der amerikanischen und italienischen Polizei Verbindung aufzunehmen. Sogar ich wußte nicht, wo und wie er lebte. Alles, was ich wußte, erfuhr ich über die Zeitung. Aber einmal, als ich aus dem Fenster sah, fielen mir zwei Italiener auf, die das Haus beobachteten, und ich begriff, daß Gorgiano mein Versteck ent deckt hatte. Schließlich ließ Gennaro mich durch die Zeitung wissen, daß er mir von einem bestimmten Fenster aus eine Nachricht signalisieren würde, aber als er dann die Signale sendete, waren es nur Warnungen, und plötzlich brachen sie ab. Jetzt ist es klar für mich: Er wußte,
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