Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
Kleiderrauschen im Flur, und die Haustür ging auf und zu.
»Unsere Zeit ist begrenzt, Watson«, sagte Holmes. »Wenn Sie sich uns in den Weg stellen, Peters, werden Sie mit Sicherheit verletzt. Wo ist der Sarg, der in Ihr Haus gebracht wurde?«
»Was wollen Sie mit dem Sarg? Er wird gebraucht. Da liegt jemand drin.«
»Den Jemand will ich sehen.«
»Niemals mit meiner Erlaubnis.«
»Dann ohne Ihre Erlaubnis.« Mit einer schnellen Bewegung stieß Holmes den Burschen beiseite und war im Flur. Eine halb geöffnete Tür lag direkt vor uns. Wir traten ein. Es war das Eßzimmer. Auf dem Tisch, unter einem Kandelaber, in dem die Hälfte der Kerzen brannten, stand der Sarg. Holmes drehte das Gaslicht heller und hob den Dekkel. Tief unten im Sarg lag eine abgezehrte Gestalt. Das Licht fiel auf ein altes verwelktes Gesicht. Keine denkbare Grausamkeit, auch nicht Hunger oder Krankheit konnten die noch immer schöne Lady Frances zu einem solch abgeklapperten Wrack gemacht haben. Holmes’ Gesicht zeigte Überraschtheit und Erleichterung.
»Gott sei Dank«, murmelte er, »es ist jemand anders.«
»Ach, haben Sie einmal einen Fehler gemacht, Mr. Sherlock Holmes«, sagte Peters, der uns in das Zimmer gefolgt war.
»Wer ist diese Tote?«
»Na, wenn Sie es wirklich wissen wollen, sie ist eine alte Amme meiner Frau, ihr Name ist Rose Spender; wir fanden sie im Spital des Armenhauses in Brixton. Wir haben sie bei uns aufgenommen, haben Dr. Horsom hergerufen – aus Firbank Villas 13, meinetwegen können Sie die Adresse haben, Mr. Holmes – und sie sorgfältig gepflegt, wie es Christenpflicht ist. Am dritten Tag ist sie gestorben – auf dem Totenschein steht Altersschwäche, aber das ist nur die Meinung des Arztes, und Sie wissen es gewiß besser. Ihr Begräbnis haben wir bestellt bei Stimson & Co., Kennington Road, die richten es aus, sie werden sie um acht Uhr morgen früh begraben. Können Sie in der Sache eine weiche Stelle entdecken, Mr. Holmes? Sie haben einen dummen Fehler gemacht, und Sie werden die Folgen tragen. Ich würde sonstwas geben für eine Photographie von Ihrem gaffenden, glotzenden Gesicht, als sie den Deckel hoben, in der Erwartung, Lady Frances Carfax zu sehen, und nur eine arme alte Frau von neunzig Jahren fanden.«
Holmes’ Gesicht war unter dem Spott seines Gegners so unbewegt wie immer, aber seine verkrampften Hände verrieten seinen heftigen Verdruß.
»Ich durchsuche jetzt Ihr Haus«, sagte er.
»Das also auch noch!« schrie Peters. Gleichzeitig wurden im Flur die Stimme einer Frau und schwere Schritte laut. »Wollen gleich mal sehen, was los ist. Hierher, bitte, meine Herren von der Polizei. Diese Männer sind mit Gewalt in mein Haus eingedrungen, und ich kann sie nicht loswerden. Helfen Sie mir, sie hinauszuwerfen.«
Ein Sergeant und ein Konstabler standen im Hauseingang. Holmes zog seine Visitenkarte aus der Tasche.
»Hier mein Name und die Adresse. Das ist mein Freund Dr. Watson.«
»Bei Gott, Sir, wir kennen Sie wohl«, sagte der Sergeant. »Aber Sie können hier nichts machen ohne amtliche Vollmacht.«
»Sicherlich nicht. Ich weiß das selber.«
»Nehmen Sie ihn fest!« schrie Peters.
»Wir wissen, wo wir den Herrn verhaften können, wenn er benötigt wird«, sagte der Sergeant mit Würde. »Aber Sie müssen nun wirklich das Haus verlassen, Mr. Holmes.«
»Ja, Watson, wir werden gehen müssen.«
Eine Minute später standen wir wieder auf der Straße. Holmes war kühl wie immer, aber ich kochte vor Zorn über die Erniedrigung. Der Sergeant war uns gefolgt.
»Ich bedaure, Mr. Holmes, aber so will es das Gesetz.«
»Stimmt, Sergeant, Sie konnten nicht anders handeln.«
»Ich nehme an, Ihre Anwesenheit in dem Haus hatte einen guten Grund. Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann…«
»Es geht um eine vermißte Dame, Sergeant, und wir glauben, sie befindet sich in dem Haus. Ich erwarte jeden Augenblick einen Haftbefehl.«
»Dann werde ich die Gesellschaft im Auge behalten, Mr. Holmes. Wenn sich etwas tut, lasse ich Sie es bestimmt wissen.«
Es war erst neun Uhr, und sogleich stürmten wir der heißen Fährte nach. Als erstens fuhren wir zum Spital des Armenhauses in Brixton, wo man uns sagte, daß wirklich ein mildtätiges Paar einige Tage zuvor eine geistesschwache alte Frau, die es als eine ehemalige Angestellte ausgab, beansprucht und auch die Erlaubnis erlangt hatte, sie
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