Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
sich nach allen Seiten um. Dann rief sie eine Droschke und stieg ein. Glücklicherweise bekam ich auch eine und konnte ihr folgen. Sie hielt schließlich in Brixton, Poultney Square Nr. 36. Ich fuhr weiter, verließ meine Droschke an der Ecke des Platzes und beobachtete das Haus.«
»Sahen Sie jemanden?«
»Die Fenster waren alle dunkel, außer einem im Erdgeschoß. Die Jalousie war heruntergelassen, und ich konnte nicht hineinsehen. Ich stand dort, unschlüssig, was ich jetzt tun sollte, als ein geschlossener Lastwagen mit zwei Männern vorfuhr. Sie stiegen aus, nahmen etwas vom Wagen herunter und trugen es die Stufen zur Haustür hinauf. Mr. Holmes, es war ein Sarg.«
»Ach.«
»Einen Augenblick lang schwankte ich, ob ich eindringen sollte. Die Tür war geöffnet, um die Männer und ihre Last einzulassen. Es war die Frau, die aufgemacht hatte. Als ich da stand, erblickte sie mich, und ich glaube, sie hat mich erkannt. Ich sah sie zusammenzucken, und hastig schloß sie die Tür. Ich erinnerte mich daran, was ich Ihnen versprochen habe, und hier bin ich.«
»Sie haben hervorragende Arbeit geleistet«, sagte Holmes und kritzelte bereits etwas auf ein Stück Papier. »Wir sind nicht befugt, ohne Haftbefehl einzugreifen, und Sie können der Sache am besten dienen, wenn Sie der Behörde diese Mitteilung überbringen und sich den Haftbefehl geben lassen. Es mag einige Schwierigkeiten geben, aber ich nehme an, daß der Verkauf der Schmuckstücke ausreichen müßte. Lestrade wird sich um die Einzelheiten kümmern.«
»Aber sie bringen sie vielleicht in der Zwischenzeit um. Was kann der Sarg bedeuten, und für wen kann er bestimmt sein, wenn nicht für sie?«
»Wir werden alles Menschenmögliche tun, Mr. Green. Nicht ein Augenblick wird verlorengehen. Überlassen Sie das uns. Nun, Watson«, setzte er hinzu, während unser Klient davoneilte, »er wird die regulären Truppen in Bewegung setzen. Wir sind, wie üblich, die irregulären und müssen unsere eigene Front bilden. Die Lage mutet mich so hoffnungslos an, daß sie die äußersten Mittel rechtfertigt. Wir dürfen keinen Moment ungenutzt verstreichen lassen und müssen uns sofort auf den Weg zum Poultney Square machen.
Versuchen wir, die Lage zu rekonstruieren«, sagte er, als wir in schnellem Tempo am Parlamentsgebäude vorbeifuhren und Westminster Bridge überquerten. »Diese Schurken haben die unglückliche Dame nach London gelockt, nachdem sie zuvor sie und ihre ergebene Zofe auseinandergebracht hatten. Wenn sie Briefe schrieb, sind sie abgefangen worden. Über irgendeinen Komplizen haben sie ein möbliertes Haus gemietet. Dort haben sie sie gefangengesetzt und sich ihren wertvollen Schmuck angeeignet, so wie es von Anfang an die Absicht gewesen ist. Sie haben auch schon begonnen, Teile davon zu verkaufen, weil sie sich sicher genug wähnten; denn sie haben keinen Grund zu der Annahme, daß jemand am Schicksal der Dame interessiert ist. Wenn man sie freiläßt, wird sie die Leute selbstverständlich anzeigen. Also darf sie nicht freigelassen werden. Aber sie können sie nicht ewig hinter Schloß und Riegel halten. So ist Mord ihre einzige Lösung.«
»Das scheint sehr einleuchtend.«
»Nun wollen wir die Beweise in anderer Folge kombinieren. Wenn Sie zwei verschiedene Gedankenketten durchgehen, Watson, werden Sie einen Punkt finden, wo sich beide überschneiden; das ist dann der Moment, welcher der Wahrheit am nächsten kommt. Beginnen wir jetzt nicht mit der Dame, sondern mit dem Sarg, und schließen wir zurück. Die Sache mit dem Sarg, fürchte ich, bestätigt zweifellos, daß die Dame tot ist. Sie verweist außerdem auf ein herkömmliches Begräbnis mit allen dazugehörigen Begleiterscheinungen wie Totenschein und behördlicher Genehmigung. Wäre es offensichtlich, daß die Dame ermordet worden ist, hätten sie sie im Garten beerdigt. Aber hier geschieht alles offen und nach der Regel. Was bedeutet das? Sicherlich, daß sie Lady Frances in einer Weise umgebracht haben, die den Arzt täuschte und ein natürliches Ende vorspiegelte – durch Gift vielleicht. Und doch ist es seltsam, daß sie einen Arzt an sie herangelassen haben sollen, es sei denn, er war mit im Bunde, was aber wiederum kaum glaubhaft ist.«
»Könnten sie den Totenschein gefälscht haben?«
»Gefährlich, Watson, sehr gefährlich. Nein, ich sehe nicht recht, daß sie das getan haben sollen. Halten Sie, Kutscher! Das ist sicherlich das
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