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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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Geschichte?«
    »Wo gehen Sie hin?«
    »Ich kann euch nicht mitnehmen.«
    »Zu wem gehen Sie?«
    »Wenn Sie gehen, gehen wir auch.«
    »Wo gehen wir hin?«
    »Ihr könnt nicht mitkommen.«
    Sein Tonfall war gebieterisch und besorgt zugleich.
    »Es geht nicht!«
    »Warum nicht?«, fragte Eduardo.
    »Ich muss alleine gehen. Ihr bleibt hier!«
    Ein weiterer Blick in die Runde erinnerte Ubiratan daran, wo er war. Die Tenorstimme versprach Zuflucht und Erlösung. Die rothaarige Prostituierte stand auf und tanzte allein, während sie schrill und misstönend die Versprechungen mitsang.
    Eu ouvirei o que dizes
    Então seremos felizes …
    »Nein, bleibt nicht hier! Geht nach Hause!«
    »Was ist passiert? Warum sind Sie so nervös?«
    »Was war da drinnen los mit der Alten? Was hat sie Ihnen erzählt, was Sie so nervös macht?«
    »Geht nach Hause, geht nach Hause!«
    »Sie haben was rausgefunden, was Sie uns nicht erzählen wollen!«
    »Und zwar genau da drinnen, nachdem Sie uns weggeschickt haben!«
    »Egal wo Sie hingehen, wir gehen Ihnen einfach nach.«
    »Versprecht mir, dass ihr mir nicht folgen werdet!«
    »Warum?«
    »Versprecht es!«
    »Wo gehen Sie hin?«
    »Versprich mir, dass du mir nicht folgen wirst, Eduardo. Paulo, du auch. Bitte versprecht es mir!«
    »Ich gehe da hin, wo Sie auch hingehen.«
    »Wir beide.«
    »Zusammen!«
    »Nein, Paulo.«
    »Wir drei.«
    »Diesmal nicht, Eduardo.«
    »Und wir kommen doch mit!«
    »Das Fahrrad ist meins, und ich fahre damit, wohin ich will.«
    »Aber das geht nicht, Eduardo! Dieses Mal nicht!«
    »Eduardo kommt mit und ich auch.«
    »Wir beide kommen mit Ihnen mit!«
    »Nicht an diesen Ort, Paulo. Das dürft ihr nicht!«
    »Wir lassen uns von Ihnen nichts verbieten. Wir kommen mit und basta!«
    Ubiratan verstand, dass er die beiden Jungen nicht von ihrem Vorhaben abbringen konnte. Er drehte sich zu dem Hünen um, der noch immer die Tür seiner Herrin bewachte.
    »Humberto!«
    Ehe die beiden Jungen es sich versahen, hatte der Gorilla sie an den Armen gepackt und in die hinterste Ecke des Raums gezerrt. Dann schob er sie in ein Kämmerchen. Paulo lief zum einzigen Fenster. Von den Bergen kam mit Sprühregen vermischter Nebel herab, ließ die Scheiben beschlagen und verschluckte, zusammen mit der hereinbrechenden Nacht, nach und nach die Straßen. Soeben verschwand Ubiratan auf Eduardos Fahrrad um eine Ecke.
    Er wusste nicht, wie lange er schon in die Pedale trat und ob er überhaupt in die richtige Richtung fuhr. Zwar folgte er der Wegbeschreibung der Puffmutter, aber es war das erste Mal, dass er über die Stadtgrenze hinausfuhr. Die Beine taten ihm weh. Immer wieder hielt er an, um Atem zu schöpfen. Irgendwann hatte er in der Ferne kleine Lichtpunkte gesehen, die vielleicht zum Dorf gehörten, aber er konnte nicht direkt darauf zufahren: Im Schein der in den Wolken explodierenden Blitze konnte er die Windungen des Pfads vor sich auftauchen und wieder verschwinden sehen. Der Donner grollte immer näher, wie die Kanonen einer heranrückenden Armee.
    Die Schlange wartet nur darauf, aus ihrer Höhle zu kriechen, dachte er.
    Die Windböen trieben ihm Schmutz ins Gesicht. Der Sprühregen durchnässte ihn. Er war erschöpft. Aber er durfte nicht anhalten. Er musste so schnell wie möglich Renato finden. Er musste versuchen, den Kreislauf der Dekadenz zu durchbrechen, der mit der Vergewaltigung eines jungen Mädchens namens Madalena begonnen hatte. Er musste Renato erzählen, dass das Mädchen, mit dem er in der Umkleidekabine Zärtlichkeiten ausgetauscht hatte, seine Schwester war. Seine andere Schwester. Er musste ihm erzählen, dass der Mann seiner Geliebten sein Vater war. Er wusste noch nicht, wie er das anstellen sollte. Aber er musste es tun. Jemand musste es tun. Dringend.
    Irgendwo in der Ferne zu seiner Linken rasten zwei parallele Lichter wie Autoscheinwerfer die Straße entlang. Er versuchte, sich an ihnen zu orientieren, doch gleich darauf waren sie verschwunden.
    Der Regen hatte den Pfad mit einer dünnen Schlammschicht überzogen, auf der das Fahrrad wegrutschte. Er kam ins Wanken, wäre beinahe gefallen, fing sich, glitt wieder aus, hielt an. Er wischte sich die Regentropfen aus den Augen und beschloss, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen und das Fahrrad zu schieben. Nun konnte es eigentlich nicht mehr weit bis zum Dorf sein. Bald musste er feststellen, dass er sich geirrt hatte. Die Zeit lief ihm davon. Seine Unruhe wuchs. Er stieg wieder auf und radelte

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