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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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auf?«
    Martha sah Kyle aus ihren feucht glänzenden Augen an und schluckte. Sie hatte Angst. »Ich will mal versuchen, es zu erklären. Wir haben mit einigen Sachen experimentiert … mit Dingen, die wir sahen … und das war fast so schlimm wie die Tatsache, dass Menschen getötet wurden. Die Polizei hat immer behauptet, wir hätten wegen der Drogen solche Dinge gesehen. Ich habe mir auch mein ganzes Leben eingeredet, dass die Polizei recht hatte. Dass wir damals Halluzinationen hatten. Aber inzwischen weiß ich es besser. Bridgette wusste es auch. Wir sind ihm nie entkommen. Nein, ganz bestimmt nicht. Keiner von uns. Dem, was Katherine aus Frankreich mit hierherbrachte. Die alten Freunde. Belial hatte recht. Was er damals im Gefängnis der Polizei erzählte, dass sie herunterkämen … dass sie um uns herum existieren. Ich glaube, niemand von uns konnte sich je davon befreien.«
    »Alte Freunde. Blutsfreunde. Davon habe ich auch schon gehört. Hatten sie etwas mit der Nacht des Aufstiegs zu tun?«
    Martha nickte. Sie starrte ihre Hände an. »Ja, das glaube ich.«
    »Wer waren sie denn?«
    »Was sind sie – so sollten Sie die Frage formulieren.« Sie zündete sich eine weitere Zigarette an. Ihre Stimme zitterte vor Anspannung. »Wir riefen das herunter, was wir selbst geworden waren. Besser kann ich es nicht ausdrücken. Das ging über ein Jahr. Vom Herbst ’74 bis ’75. Und wir waren nicht die Gesegneten, sondern das Gegenteil: Wir waren verdammt. Genau wie sie . Die Freunde . An uns war nichts Heiliges oder besonders Gutes. Das war zu diesem Zeitpunkt längst vorbei. Wir waren völlig vom Weg abgekommen. Einige von uns schon vor der Zeit in der Mine. Aber genau das war der springende Punkt. Am Schluss waren wir bereit. Wir hatten alle Grenzen überschritten und waren
innerlich völlig zusammengebrochen, der Geist war zerstört. Wir waren bereit. Bereit für etwas. Für sie. Wir hatten nichts mehr, nur noch den Tempel der Letzten Tage. Und das waren die letzten Tage, in genau diesem Sommer. Das Einzige, was mich davon abhielt, diesen Weg bis zum Ende mitzugehen, war mein kleiner Junge. Wir waren jung und dumm. Bridgette und ich. Aber wir waren Mütter. Und so wussten wir es irgendwie. Tief drinnen, verstehen Sie? Wir wussten, dass wir da unbedingt rausmussten. Jetzt oder nie. Auf den letzten Drücker.«
    Martha reckte sich. Ihr Gesicht war jetzt schrecklich bleich. Sie seufzte traurig. Das Seufzen endete in einem lauten leidvollen Stöhnen. Dan und Kyle schreckten zusammen.
    »Mein Gott.« Ihre Stimme vibrierte vor tief empfundener Qual, ihre Augen schimmerten feucht. »Wir waren Mörder. Wir sahen tatenlos zu, wenn andere vergewaltigt wurden. Ermordet wurden. Wenn sie mit einem Baby …« Martha vergrub das Gesicht in der Armbeuge, ließ den Kopf auf den Tisch sinken und begann zu schluchzen.
    Dan und Kyle blickten einander an. Dans Gesicht zuckte vor Anspannung, er war blass und presste die Lippen aufeinander. Kyle nickte ihm zu und formte lautlos die Worte: Lass weiterlaufen . Dan wandte sich wieder dem Sucher der Kamera zu.
    Martha weinte ungefähr fünf Minuten lang, den Kopf auf den Arm gelegt. Kyle wollte nicht ins Bild treten, um sie zu trösten. Das wäre falsch gewesen. Falsch in dieser Situation und für diese Szene und den ganzen Film. Lass weiterlaufen , sagte er sich. Lass es laufen . Er würde die ganze Szene in den Film einbauen, die Leute dazu zwingen, es zu ertragen. Den Kummer dieser gebrochenen Frau, ihr Elend, ihre Klage, ihre Schuld und ihre Reue. Jeder Schluchzer sollte zu hören sein,jede Träne zu sehen, jedes Zittern dieses abgemagerten, gebrochenen Körpers. Susan Whites Verwunderung, Gabriels Angst, Marthas Trauer – lass es laufen.
    Als ihr Schluchzen schwächer wurde, sprach Martha mit brüchiger
Stimme weiter: »Wir träumten von Verbrennungen. Von gepfählten Leichen, von Toten, die von Vögeln und Hunden gefressen wurden. Wir alle sahen die Flammen und die Asche im Regen … So fing es an. Bei den Sitzungen. Das war der Moment, wo sie kamen.«
    Kyle stand unter Hochspannung, als hätte er einen Finger in die Steckdose gesteckt. In seinem Kopf schossen hässliche Bilder herum, eine Reihe schmutziger, undeutlicher Bilder. Jump Cuts quer durch einen Albtraum, in dem eine Art Abschlachten im Gang war, inmitten von Regen, Rauch und Asche. Davon hatte er geträumt, als er aus Frankreich nach Hause zurückgekommen war.
    »Diese Sitzungen …« Seine Stimme klang rau. Dan warf

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