Der letzte Tag: Roman (German Edition)
zugelassen, dass Katherine mir mein Baby wegnimmt. Wofür brauchte sie denn ein Kind? Sie mochte Kinder doch überhaupt nicht. Sperrte sie ein. Verbot uns, zu ihnen zu gehen. Und da sollten wir zulassen, dass sie sie uns wegnimmt, als wären es ihre eigenen? Niemals. Nicht
meinen Jungen. Bridgettes auch nicht. Also liefen wir mitten in der Nacht davon. Kurz bevor wir mit der Arbeit am letzten Stück des Drahtzauns fertig waren, schnitten wir ein Loch rein und machten uns davon. Liefen zur Ranch von Mr. Aguilar, der uns dann in die Stadt fuhr. Der Mann hat uns gerettet. Belial wusste das auch. Sie wollten losgehen und ihn umbringen, weil er Schwester Prissie geholfen hatte, als sie zum ersten Mal wegrannte. Es war eine sehr aggressive Stimmung, als sie an diesem Tag mit Prissie im Wagen zurückkamen. Belial gab mächtig damit an, wie er ›diesen dreckigen Bohnenfresser auspusten‹ würde.«
Kein Wunder, dass Irvine Levine sich auf die kriminellen Aspekte des Kults konzentriert hatte. Mehr brauchte er gar nicht für sein Buch.
Nach Marthas Ausführungen über die Kinder folgte eine längere Pause. Kyle beendete sie schließlich. Er war so neugierig auf das, was in der Nacht des Aufstiegs passiert war, dass er kaum atmen konnte. »Weniger als drei Monate nachdem Sie und Bridgette aus der Mine geflüchtet waren, wurde die Nacht des Aufstiegs zelebriert. In knapp einer Stunde wurden neun Menschen dort getötet, darunter auch Schwester Katherine. Die Polizei fand Spuren, die darauf hinwiesen, dass vier der Opfer versucht hatten zu entkommen. Offenbar flüchteten sie vor dem, was wohl so eine Art Abschiedsritual war. Ein Ritual, zu dem die bereitwillige Exekution von vier Angehörigen der Sieben und Katherines gehörte. Wussten Sie, dass es zu einer solchen Selbstmordaktion kommen würde? Oder können Sie uns ein paar Hinweise geben, was in dieser Nacht passiert ist?«
Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Es stand etwas bevor, das war klar. Und es würde Tote geben. Wir alle hatten sozusagen keinen Rückfahrschein gelöst. Wie ich schon sagte, lief alles auf etwas hinaus, von dem nur Katherine wusste. Dieses Miststück hatte ganz bestimmte Pläne, die sie aber niemandem mitteilte. Aber was dort draußen in dieser Nacht passiert ist … weiß ich
nicht. Wir waren alle ziemlich paranoid, das ganze Jahr 1975 über. Katherine hatte ja den Prozess gegen Levine verloren. Und uns wurde gesagt, dass die Abtrünnigen eine Verschwörung gegen uns geplant hätten, zusammen mit der Polizei, der CIA, dem FBI, der Regierung … Alle seien gegen uns. Ich glaubte das auch. Bruder Moloch sagte uns, dass wir bis zum letzten Mann Widerstand leisten sollten, wenn die Polizei noch vor der Nacht des Aufstiegs käme. Und wenn wir zu schwach zum Kämpfen wären, sollten wir uns gegenseitig töten. Sie erklärten uns nie, was die Nacht des Aufstiegs überhaupt sein sollte, aber Bridgette und ich hatten kein gutes Gefühl dabei. Es klang irgendwie bedrohlich.
Ich hatte immer den Verdacht, dass die Morde in dieser Nacht stattfanden, weil die Sieben verunsichert waren, nachdem Bridgette und ich geflüchtet waren. Wegen dem, was wir über die Ermordung von Urania, Hannah, Prissie und den Jungs wussten. Katherine war zu diesem Zeitpunkt schon völlig verrückt. Und die ganzen Drogen, die sie in Kalifornien genommen hatte, mussten ihre Paranoia in neue Höhen getrieben haben. Die Polizei vermutete, die Morde hätten wegen Führungsrivalitäten stattgefunden. Das ist Blödsinn. Niemand hat Katherine je widersprochen, bis auf Ariel und Adonis, und man hatte ja erlebt, wohin so was führte. Andere sagten, es sei eine Art Opfer gewesen, für den Teufel.« Martha schüttelte den Kopf. »Es ging nie um den Teufel. Das können Sie mir glauben.«
»Es wurde behauptet, Katherine hätte sich für unsterblich gehalten. Für eine Heilige. Und dass alle Auserwählten ebenfalls unsterblich werden könnten. Aber wenn sie unsterblich war, wieso hat sie sich dann töten lassen?«
Martha zuckte mit den Schultern und vergrub sich noch tiefer in ihrer Strickjacke. Sie spielte wieder mit ihrem Feuerzeug herum. »In letzter Zeit habe ich andere Dinge in Betracht gezogen. Ganz andere Möglichkeiten. Genau zu dem Zeitpunkt, als Max sich mit mir in Verbindung setzte, was wirklich ziemlich beängstigend
war. Ich konnte an seiner Stimme hören, dass er auch etwas Schreckliches bemerkt hatte. Und kurz nachdem er sich gemeldet hatte, gab Bridgette auf.«
»Sie gab
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