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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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hinweg. Inmitten des zerstörerischen Durcheinanders, das in der Stadt herrschte, sah man eine Handvoll Männer auf dünnen Beinen, die ihre Arme in den Himmel warfen oder mit gezogenen Schwertern und Bannern in den Händen dastanden. Das letzte Aufgebot der Verteidiger.
    »Ich kann die Armee erkennen. Ist das die Belagerung?«
    »Das sind die Belagerer. Siebenhundert Soldaten. Zweihundert spanische Söldner. Sehr diszipliniert und mit viel Erfahrung, was das Abschlachten von Protestanten betrifft.«
    »Die Stadtmauern sind zerstört, und die Soldaten dringen ein. Das dürfte St. Mayenne sein, würde ich sagen.«
    Pieter nickte. »Was tun die Menschen in der Stadt?«
    Grauenhaft dünne und elend aussehende Frauen, die Stoffmützen und lange Gewänder trugen, führten klapperdürre Hunde an Leinen herum. Die Gesichter der Menschen wurden bestimmt von großen, tief in den Höhlen liegenden Augen. Ihre Münder waren aufgerissen und zeigten ihre schwarzen Schlünde. Kinder mit runden Köpfen schauten aus den Fenstern im oberen Stockwerk eines Hauses. Die wenigen männlichen Gestalten, die er erkennen konnte, standen in der Nähe der zusammengebrochenen
Mauer. Nur einige trugen Rüstungen oder hielten Waffen in den Händen. Frauen schleppten Eimer mit schmutzigem Wasser heran und bemühten sich vergeblich, die Flammen zu löschen, die aus drei Fenstern züngelten. »Die Frauen versuchen, das Feuer zu löschen.«
    »Ja. Und sie haben nachts auch die Gebäude und die Mauern ausgebessert. Die katholische Armee hat mit Kanonen geschossen. Trotzdem dauerte die Belagerung sechs Wochen.«
    »Sechs?«
    »Die Armee zog einen Graben um die Stadt und beschloss, die Blutsfreunde auszuhungern. Sehen Sie, wie die alle aussehen? Niclaes Verhulst hat sie als Knochenbündel in Lumpen gemalt. Sie haben keine Augen, und ihre Kiefer hängen herab wie bei Toten. Der königliche Hof hat die Essensvorräte verwaltet, die ziemlich schnell zur Neige gingen. Sechs Wochen lang hatten die Menschen nichts zu essen. Es war verboten, die Hunde zu verspeisen, also schlachteten sie die Pferde, aßen Ratten und dann Gras. Das Unheilige Schwein war immer noch da. Und der auserwählte Prophet. Die Angehörigen des Hofs des gottgleichen Königs aßen sehr gut, während die anderen Menschen verhungerten.
    Lorche ließ Ausfälle machen, und es gelang ihnen sogar, die Kanonen der Belagerer in einem Scharmützel zu zerstören. Aber die katholischen Soldaten hielten den Belagerungsring aufrecht. Hungerten sie aus. Lorche ließ alle Menschen töten, die versuchten, zur Armee der Guise überzulaufen, als allen Bewohnern, die die Stadt verlassen würden, Schonung versprochen wurde. Sehen Sie dort den Marktplatz?«
    Kyle fand die Stelle. Acht kopflose Gestalten, eingehüllt in weiße Gewänder, lagen auf dem Platz im Schmutz vor einer Person in einem roten Umhang, die auf einem goldenen Thron saß. Der Mensch auf dem Thron wandte den Kopf gen Himmel. Auf seinem grünlichen Gesicht lag ein totenkopfartiges verzücktes Grinsen.
    »Abtrünnige«, sagte Pieter. »Geköpft. Ihr Blut hat er den Engeln geopfert, denen er diente und mit denen er einen Pakt geschlossen hatte. Sehen Sie Lorche? Er schaut zum Himmel. Er erwartet die Engel, die ihn retten sollen, so wie er es seinen Anhängern versprochen hat. Aber die Menschen haben kein Essen mehr und kaum noch Wasser. Krankheiten sind ausgebrochen, und in vielen Häusern liegen Tote. In den letzten Tagen hat Lorche seine Leute aufgefordert, das Blut von Christus zu trinken und sein Fleisch zu essen. Lorche hat den Schweine-Bischof dazu gebracht, die Körper der Kranken und Sterbenden zu segnen und forderte seine Leute auf, sie zu verspeisen. So konnten sie am Leben bleiben, indem sie das Fleisch der eigenen Toten aßen.«
    Kyle musste schlucken, er hatte einen bitteren Geschmack im Mund.
    »Betrachten Sie den Tisch dort auf dem Marktplatz. Sehen Sie das Festmahl?«
    Kyle hätte es lieber nicht angesehen. Skelette von Pferden bedeckten das Pflaster des Platzes vor der Kirche. Sie waren völlig abgenagt. Vor den Kirchentüren stand ein breiter Tisch mit Schalen, in denen eine rötlich-braune Flüssigkeit schwappte. Leblose, dürre Arme und Beine lagen auf großen Metallplatten. Eine ganze Menge leerer Särge stapelte sich neben der Banketttafel.
    »Schauen Sie sich nun das nächste Bild an. Es heißt ›Das Martyrium der Narren‹.«
    Das gesamte Bild wurde vom Markplatz ausgefüllt, und es waren noch viel mehr Details zu

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