Der letzte Tag: Roman (German Edition)
das Privateigentum ab. Jede Form von persönlichem Besitz war verboten, sogar der Besitz von Essen. Kaufen und Verkaufen war nicht erlaubt. Arbeiten für Geld ebenfalls nicht. Zinswucher, Geldverleih. Es war wie bei den Kommunisten. Alle weltlichen Güter wurden von einer Registratur verwaltet, wie von einer Bank. Die Aufsicht darüber hatte Lorche, der Prophet, zu dem Gott gesprochen hatte. Er behielt alles für sich. Und dann wurden alle anderen Aktivitäten ebenfalls vergemeinschaftet. Schlafen, essen. Die Türen in den Häusern wurden herausgenommen. Spiritueller Unterricht, religiöse Führung und das gesamte öffentliche Leben wurden von Lorche und seinem Rat der sieben Ältesten kontrolliert.«
Kyle erstarrte. Pieter schaute ihn durchdringend an, aber nur mit dem einen Auge, das über seine Brillengläser hinwegblickte. »Verstehen Sie? Es ist das gleiche Grundmuster.«
Kyle trank sein Bier aus. Pieter sah nachdenklich auf die Tischplatte
und versuchte, sich zu konzentrieren. »Lorche, der Prophet. Er schlief mitunter tagelang und wachte dann auf, um neue Richtlinien zu proklamieren, die Gott ihm durch flüsternde Engel mitgeteilt hatte. Dann ging er herum und gab neue Gesetze für Neu-Jerusalem aus. Als Erstes führte er ein Zölibat für alle ein. Das war ein Gesetz Gottes. Unzucht war ein Kapitalverbrechen und wurde mit der Todesstrafe geahndet. In Neu-Jerusalem war nur Platz für die reine Lehre, die in seinen Schriften und Interpretationen des Wortes Gottes ausgedrückt wurde. Die Welt war vom rechten Weg abgekommen und verdammt, aber Lorche war der Erlöser. Das hatten die Engel ihm eingeflüstert. Wenn es Schwierigkeiten gab oder gar Widerstand ihm gegenüber, dann sprachen immer die Engel. Einige behaupteten, es seien wohl eher Teufel gewesen, aber wer das wagte, wurde nicht nur verbannt, sondern mit dem Tode bestraft. Es war ein schrecklicher Ort, aber er nannte es das Paradies.
Der erste große Ärger kam, weil es zu viele Witwen gab. Das Leben war hart für sie. Die Männer vieler Frauen waren im Krieg gestorben. Noch mehr aber waren vertrieben oder hingerichtet worden, nachdem der Prophet es angeordnet hatte. Also führte er die Polygamie ein. Lorche selbst nahm sich die drei jüngsten und schönsten Mädchen als Bräute. Und Lorche stieg weiter auf. Er krönte sich selbst zum König von Israel und behauptete, die ganze Welt müsse ihm untertan sein. Er sah sich als den neuen Messias, der im Alten Testament angekündigt wurde. Er trug unglaublich kostbare Gewänder in Purpur. Das ganze Gold im Ort wurde eingeschmolzen, um Ringe und Schmuck für den König herzustellen. Er war der König von Gottes Gnaden. Sein Rat der Sieben war ebenfalls mit prächtigen Roben ausgestattet. Sie begleiteten ihn überallhin. Er richtete neue geheiligte Feiertage ein. Es gab große Feste und feierliche Paraden. Alle mussten sich vor ihm verbeugen. Davon konnte er nie genug kriegen. Bald schon hatte er fünfzehn Ehefrauen. Alle wurden zu Königinnen
ernannt. Die schönsten Häuser gehörten der Kirche. Sie lebten in unglaublichem Luxus. Die Bewohner des Ortes gaben ihre Kleider und ihren Besitz ab, ihr Essen wurde rationiert. Der Marktplatz wurde zum Gerichtssaal umfunktioniert. Seine Soldaten beschützten ihn, indem sie den Marktplatz einkreisten. Und Lorche saß auf dem Thron, den er dem Bischof der Diözese gestohlen hatte, mitten auf dem Marktplatz und erklärte, welche neuen Gesetze Gott ihm eingegeben hatte. Und er bestrafte Missetäter. Er nannte sich Kaiser des Schwarzen Waldes und behauptete, er würde tausend Jahre lang regieren.
Aber war es wirklich Gott, der ihm seine Macht verlieh? Und welcher Gott sollte das gewesen sein? Das sollten wir uns fragen. Und wer waren diese Engel, die als Botschafter zu den Erwählten kamen? Wir wissen es nicht. Aber seine Anhänger glaubten ihm, und das genügte. Er bewies, dass er auserwählt war, indem er seine Sünden als Schlangen ausspie. Aus dem Mund, verstehen Sie? Und indem er über dem Boden in der Luft ging. Er war in der Lage, verstecktes Gold zu finden, er wusste, wo jemand es vergraben hat. Es heißt, er hätte alle Geheimnisse seiner Mitmenschen ergründen können. Und er hätte ihre Seelen unter seine Kontrolle gebracht. Angeblich konnte er diejenigen, die ihm widersprachen, in Hunde verwandeln. Um seine Macht zu demonstrieren, brachte er einige dazu, die Welt durch seine Augen zu sehen. Durch die Augen Gottes, wie er behauptete. Andere zwang er, die Welt
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