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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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unbestimmten leeren Raum flog, war tatsächlich gekrönt. Die Kronen sahen aus, als wären sie sehr unbeholfen aus Holz gebastelt worden. »Hier führt uns Verhulst Lorche und die Sieben als Könige der Leere, des Rauchs und der fauligen Ausdünstungen vor. Ihre Gefolgschaft besteht aus einer Pestilenz von Sündern, die abgeschlachtet oder bei lebendigem Leib verbrannt worden waren, einem Schwarm toter Vögel, die sich von Aas ernähren, und Hunden, die das Fleisch der Verstorbenen gefressen haben. Sie sehen die Vögel um die Füße der Menschen flattern. Die Vögel bestehen ebenfalls aus Knochen. Das ist das Paradies, das man ihnen versprochen hat.«
    Die Blutsfreunde waren noch erbärmlicher und hagerer als sie es während der Belagerung und ihrem Martyrium gewesen waren. Sie sahen überhaupt nicht mehr wie Menschen aus. Aber diese Abbildung war absolut korrekt. Kyle wusste, wo er solche Gestalten schon einmal gesehen hatte.
    »Anstatt sich in himmlische Kreaturen zu verwandeln, sind sie nun in verdrehten dämonischen Körpern gefangen, menschlichen Überresten, die neu zusammengefügt wurden, als Ebenbilder ihrer Gebieter. Sie können sich nur als Engel verkleiden.
Sie tragen ein idiotisches Grinsen zur Schau angesichts der Verwüstung, die sie ihren früheren weltlichen Existenzen zugefügt haben. Sehen Sie. In ihren Händen, die sie wie Klauen zusammenkrallen, halten sie Lumpen und Knochen. Sie klammern sich an den Verfall, lobpreisen aber die Dinge, die sie sich geschnappt haben, als seien sie aus Gold und mit kostbaren Juwelen besetzt. In der Mitte können Sie Lorche sehen, wie er mit dem Schwein tanzt.«
    Das tat er wirklich. Der schauderhafte Anblick dieses skelettartigen Mannes mit der hölzernen Krone auf dem Kopf, der um ein Schwein mit grotesken menschlichen Zügen und einer Bischofsmitra auf dem Kopf herumtänzelte, war kaum zu ertragen. Kyle war schlecht, er wurde immer nervöser.
    »Das sind keine Menschen mehr. Das sind Verdammte. Sie wurden verschlungen. Trotzdem sehnen sie sich noch immer nach dem Licht, das sie aber verbrennen wird. Sie warten hier, in der unendlichen Einöde, auf einen Ruf, der von einem ihrer früheren Orte zu ihnen dringt, aus jenen Tagen, als sie noch stark waren, oder von jenen, die gekommen sind, sie anzubeten.«
    Kyle wandte sich ab. Diese Bilder waren für immer in sein Gedächtnis eingebrannt. Er wusste, dass sie ihn noch sehr oft heimsuchen würden. Und als er durch das Zimmer zur Tür ging, allein, ohne Pieter an seiner Seite, der zurückgeblieben war, um die Gemälde wieder mit den schwarzen Tüchern zu verhüllen, sah er nichts weiter vor sich als die dünnen erbärmlichen Gesichter der Blutsfreunde in ihrem Königreich der Narren. Aus ihren weit aufgerissenen Augen sprach der schiere Wahnsinn.

Camden, London
24. Juni 2011, 23 Uhr
     
    »He, Kumpel, ich bin hier draußen. Das nervt langsam.« Kyle hatte keine Lust mehr, dem immer noch verschollenen Dan eine weitere Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Seit seinen aufgeregten Anrufen während Kyles Flug nach Antwerpen hatte er sich nicht mehr gemeldet. Auch Finger Mouse hatte Dan nicht mehr gesehen, seit er das Filmmaterial aus Amerika gleich nach der Ankunft in Gatwick bei ihm abgegeben hatte. Zu Finger Mouse hatte er bloß gesagt, er würde jetzt nach Hause gehen, um zu schlafen.
    Normalerweise trafen sie sich in Kyles Wohnung in West Hampstead, weil Kyle die gelegentlichen Ausflüge nach Camden, »den Arsch der Welt«, wie er es nannte, nur noch auf die Nerven gingen. Dan wohnte dort unangemeldet zur Untermiete bei einem Performance-Künstler namens Raoul, dessen letzte Idee der schmerzhaft schlechte und völlig erfolglose Versuch einer Burleske gewesen war. Kyle hatte das Machwerk filmen müssen. Glücklicherweise befand sich dieser eingebildete Kerl die meiste Zeit in Madrid.
    Der Häuserblock aus rotem Backstein sah ziemlich verlassen aus, die meisten Fenster waren unbeleuchtet. Kyle betrat das marode Gebäude durch die kaputte Eingangstür und kam in ein
kahles schmutziges Treppenhaus, in dem es nach Urin stank. Offensichtlich wurde das aus nacktem Beton gebaute Foyer auch als öffentliche Toilette benutzt. Kaum hatte das Wohnungsbauamt die Tür in Ordnung bringen lassen, wurde sie erneut eingetreten, und die Asozialen aus der Nachbarschaft fingen wieder an, sich darin zu erleichtern. In dieser Hinsicht hatte sich nichts ver ändert. Aber das, wovor Kyle im Moment so große Angst hatte, dass es

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