Der letzte Tag: Roman (German Edition)

sie von der Polizei gerettet wurden. Und, wie Sie deutlich sehen können, bevorzugen sie es noch immer, ihr Leben auf allen vieren zu verbringen. Sie benehmen sich wie Hunde, die jemand aus einem Zwinger befreit hat. Und genau das sind sie ja auch.«
    Kyle schluckte dreimal. Sein Mund war völlig ausgetrocknet. Seine Stimme war kaum zu vernehmen. »Wie haben Sie die beiden denn gefunden?«
    »Dank der Dienste eines sehr teuren und nicht unbedingt nur
legal agierenden Detektivbüros.« Max spulte den Film vor, bis er an einer Stelle angelangt war, die Kyle die Haare zu Berge stehen ließ.
    »Die Tochter von Schwester Urania und der Sohn von Schwester Hannah haben diese Bilder gemacht. Nachdem die beiden Kinder aus der Mine geholt worden waren, wurden sie von Martha Lake identifiziert und ihre Nationalität wurde festgestellt. Urania und Hannah waren beide britische Staatsbürger. Sie gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Letzten Zusammenkunft und waren ihre größten finanziellen Förderer. Sie überließen Katherine Millionen. Hier sehen Sie, wie sie es ihnen vergolten hat.
    1976 wurden die beiden Waisenkinder nach Großbritannien gebracht und zunächst von Verwandten aufgenommen. Ich sage zunächst, weil sie sehr bald in das Bethlem Royal Hospital überführt wurden, als das Ausmaß ihrer psychischen Schäden sichtbar wurde. Seitdem leben sie dort in einer geschlossenen Abteilung. In der Nacht des Aufstiegs haben sie irreparable Schäden erlitten. Sie wurden schon im Alter von vier Jahren zu Psychopathen. Dies hier sind Kunstwerke von ihnen, die ich dank des Einsatzes einer größeren Summe Geldes erwerben konnte. Wenn Sie noch mehr Beweise haben möchten, würde ich, wenn wir noch die Zeit dafür hätten, für Sie einen Besuch in der psychiatrischen Abteilung arrangieren.« Es war deutlich zu sehen, wie Max erschauerte.
    »Bitte.« Kyle wandte sich vom Bildschirm ab. Er wollte diese spitzen Gesichter, formlosen Schädel und abgezehrten Gliedmaßen, die so primitiv, aber sehr effektiv auf Papier gebannt worden waren, nicht länger als nötig betrachten. »Ich hab’s ja verstanden.«
    »Wirklich? Noch sind wir nicht am Ende angelangt, mein Lieber.«
    Zögernd und wie im Halbschlaf wandte Kyle sich wieder dem Bildschirm zu. Er wollte alles wissen? Bitte schön: Hier war
es. Aber das nächste Bild bewirkte keineswegs einen weiteren Schock. Im Gegenteil, er war so erleichtert, dass er seinen grimmigen Humor wiederfand: »Ich fürchte, Sie haben da die falschen Aufnahmen eingebaut, Max.« Ein paar Schnipsel aus Ihrer Pornosammlung . Unter anderen Umständen wäre er in lautes Gelächter ausgebrochen.
    Es war eine Studioaufnahme von Chet Regal. Das ehemalige Model für Badehosen hatte es in die erste Reihe der Hollywoodstars geschafft, bevor er zum Enfant terrible wurde und die Firma Final Chapter Productions gründete. Er war der jetzige Besitzer des Anwesens von Schwester Katherine in San Diego.
    Max starrte die Aufnahme triumphierend, wenn nicht gar neugierig an. »Chet Regal, nach seiner großen Zeit auf der Leinwand, wenn ich es mal so altmodisch ausdrücken darf. Seit mindestens sechs Jahren auf dem absteigenden Ast, nachdem er zwei Scheidungen, einige Verurteilungen wegen Drogenbesitzes, Anklagen wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss und tätlicher Angriffe hinter sich hat. Meist hat er Journalisten verprügelt, aber auch seine Freundinnen. Chet Regal hat sein ganzes Leben lang schöne Frauen gehasst, hatte bisexuelle Tendenzen und sadistische Neigungen. Es heißt, dass er sich zurzeit im letzten Stadium einer Aids-Erkrankung gepaart mit Hepatitis B befindet.«
    »Ich weiß, wer das ist, Max.«
    »Als er sich zurückzog, aber das wissen Sie sicherlich auch, hat er sich hier drin eingenistet.«
    Kyle starrte auf den geteilten Bildschirm, wo ein Foto des grandiosen Art-déco-Palastes zu sehen war, in dem Schwester Katherine residiert hatte, während ihre Anhänger sich in der Kupfermine gegenseitig versklavten oder umbrachten. Die eine Hälfte des Bildschirms zeigte das Schwarz-Weiß-Bild, das Kyle schon aus Levines Buch kannte, die andere Hälfte eine prächtige Farbaufnahme.
    »Und das … sollten wir nicht filmen?«
    »Richtig. Jedenfalls noch nicht. Chet Regal war das fünfte Kind, das in der Nacht des 10. Juli 1975 aus der Kupfermine gerettet wurde. Er wurde von den dort ermittelnden Beamten als ›der saubere Junge‹ bezeichnet. Inzwischen ist er allerdings alles andere als sauber.«
    Kyles linkes