Der letzte Tag: Roman (German Edition)
in Gefahr bringen als ohnehin schon.«
»Sie sind ja ein echter Heiliger.«
Dan lebte noch, und hier war bislang noch kein Streifenwagen vorbeigekommen. Er dachte darüber nach, wie viel Glück er bisher gehabt hatte, kam aber nur auf diese beiden Ereignisse. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen, schwitzte vor Angst und fragte sich, ob er den Anblick einer der Blutsfreunde noch mal ertragen könnte. Bruchstücke aus dem Gemälde Das Königreich der Narren kamen ihm in den Sinn, wechselten sich ab mit
Bildern aus dem Haus in der Clarendon Road, den Schemen an den Mauern in der Scheune von St. Mayenne, dem Zerstörungswerk dieser dünnen Gestalt in seinem Motelzimmer in Seattle, dem Ding, das auf allen vieren durch seine Wohnung gekrochen war … Und er merkte, wie ihm alles entglitt. Alle Lebenskraft schien aus seinem Körper zu schwinden. Wenn er doch nur mehr als diese eine Scheibe trockenen Toast zum Frühstück gegessen hätte. »Wie lange, hat Jed gesagt, wird das dauern?«
Max antwortete nicht.
Bevor sie kurz nach sieben Uhr das Motelzimmer verlassen hatten, wo die verkohlten und zerfallenen Knochen noch in der schmutzverkrusteten Badewanne lagen, hatte Max erklärt, Jed würde das Tor zum Anwesen elektronisch öffnen und zwar vom Torhäuschen aus, das sich in unmittelbarer Nähe befand. Der Sicherheitscode, mit dem er sich Zugang verschaffen wollte, war ›mit gutem Geld‹ gekauft worden. Einer der unzufriedenen und nicht korrekt entlohnten Wachmänner, der inzwischen nicht mehr für Chet Regal arbeitete, hatte ihn verraten. Jed hatte schon vor Monaten mit dem Auskundschaften begonnen und einen Insider bestochen, um alle für einen Einbruch relevanten Informationen zu bekommen. In der folgenden Woche war die Sicherheitsfirma gekommen und hatte drinnen alle Kameras und Bewegungsmelder abgebaut. Die Wachhunde waren ebenfalls abgezogen worden. Außerdem stand die Zwangsversteigerung vor der Tür, die Auktion sollte in sechs Wochen stattfinden. Jeds »Aufklärung« zufolge befand sich niemand in dem Gebäude, bis auf den schwerbehinderten Chet Regal, den keiner der Wachleute jemals zu Gesicht bekommen hatte, und zwei alten Damen, die rote Nonnentracht trugen und nur gelegentlich über das Grundstück spazierten oder sich irgendwo hinsetzten, um zu telefonieren. Aber das dauerte nie sehr lange.
Jeds Informant hatte allerdings nie ein Kind dort gesehen, und seine Kollegen wussten ebenfalls nichts davon. Chet Regals Exfrau,
dieses Supermodel, war gelegentlich vorbeigekommen, weshalb man davon ausging, dass sie eine Art Besuchsrecht wahrnahm, was die Anwesenheit des Kindes zumindest indirekt bestätigte.
Wenn Chet tot war, so vermutete Max, würde das Kind wieder in die Obhut seiner wohlhabenden Mutter gegeben. Chets Schulden würden verfallen, und das Kind würde bei seiner Mutter in Santa Barbara in Schönheit und Luxus aufwachsen. Obwohl sich ein Teil von ihm immer noch gegen Max’ Theorie sträubte, musste Kyle zugeben, dass das alles ziemlich gut zusammenpasste, jedenfalls was die Zukunft des Kindes betraf. Wenn man noch mal ganz von vorn anfangen wollte, gab es sicherlich ungünstigere Ausgangspositionen als Santa Barbara und eine Mutter, die Ex-Model war. Und dieses Model würde garantiert in den Selbstmord getrieben, damit das Kind beizeiten die dreißig Millionen erben konnte, die Chet Regal ihr vor Gericht zugestehen musste, um die Scheidung zu erwirken. Vielleicht hatte er das ja als eine Art Leihgabe angesehen.
Glücklicherweise war der bengalische Tiger bereits in einem Tierheim in Montana gelandet, und die Schlangen waren nach Los Angeles gebracht worden. Das waren die einzigen guten Nachrichten, die Kyle gehört hatte, seit er frühmorgens aus dem Badezimmer gekommen war. Kurz darauf hatte er voller Schrecken zugesehen, wie Jed drei Pistolen lud. »Dies ist eine Glock 25. Militärkaliber. Für den zivilen Handel verboten. Fünfzehn Patronen passen ins Magazin. Ich hoffe doch, dass ich keine davon für dich reservieren muss, Spielberg.«
Kyle kamen ziemlich viele Antworten in den Sinn, aber er behielt sie alle für sich. Stattdessen freute er sich, dass Dan den Angriff in seiner Wohnung überlebt hatte. Max’ Desinteresse an dieser unglaublichen Neuigkeit hatte Kyle nicht nur empört, sondern zutiefst erschreckt. Kurz bevor sie ›an die Front gingen‹, trank Kyle eine Cola mit Whisky, um sich Mut zu machen und
sich mit dem Koffein ein bisschen auf Trab zu bringen, während er
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