Der letzte Tag: Roman (German Edition)
aber seine Lippen bebten viel zu sehr. In seinen Augen stand die nackte Angst. »Es gibt kein elektrisches Licht da drinnen. Außerdem hätte Chet alle Lichtquellen sowieso längst ausgeschaltet. Die Räume in der Mitte des Gebäudes haben noch nicht mal Fenster. Und jetzt ist die Zeit für den Aufstieg gekommen. Da bin ich mir ganz sicher. Seien Sie also auf alles gefasst. Hier endet alles. Die Blutspur führt dort hinein.«
»Sind Sie da ganz sicher?«
»Chet Regal wird gehen, und Katherine wird mit ihm gehen. Gefangen in seinen sterblichen Überresten. Einen anderen Weg gibt es nicht. Katherine ist die einzige irdische Verbindung zu den Blutsfreunden. Sie ruft sie, sie hält sie hier fest. Das hat sie die ganze Zeit getan. Und dieses Arrangement muss heute erneuert werden und zwar hier an diesem Ort. Also sind wir genau rechtzeitig gekommen für das, was wir vorhaben.«
Kyle brachte kaum mehr ein Wort hervor, die Angst nahm ihm den Atem. »Sie hat diesen Lorche oder was auch immer das war zurückgeholt, Max. Das kann vielleicht auch ein anderer versuchen.«
»Wer sollte denn wissen, wie das geht? Wer ist denn noch übrig? So etwas dauert Jahre. Viele Jahre des Glaubens und der absoluten Hingabe und sehr großer Konzentration an ganz bestimmten Orten, wo diese Kräfte wirken. Die Welt hat sich ver ändert. Sie ist viel transparenter geworden. Heutzutage wäre es so gut wie unmöglich, so etwas zu erreichen wie damals in den Sechzigern. Die Geschichte ihrer Heimsuchungen seit 1969 endet mit uns. Die Familie in Antwerpen wird weiterhin sehr genau aufpassen, was geschieht, wenn wir unsere Arbeit erledigt haben. Und wenn es so weit ist, dann filmen Sie sie, Kyle. Das ist unsere einzige Absicherung.«
Max schaute einen Moment lang in den Himmel und dann wieder zu Kyle. Er bemühte sich, zerknirscht auszusehen, aber sein verzerrtes Gesicht war kaum dazu in der Lage. »Aber ich fürchte, genau das wird der Grund sein, warum wir den Film keiner Menschenseele zeigen dürfen. Wir können es nicht riskieren. Weil dann womöglich irgendwelche Dummköpfe erneut versuchen, mit den alten Freunden Kontakt aufzunehmen, so wie sie es getan hat. Ihre Arbeit, Kyle, ist von unschätzbarem Wert. Aber niemand darf noch einmal all das erleiden, was wir erlitten haben. Das darf nie wieder passieren.« Max deutete auf seine Tasche.
»Wir brauchen diese Kamera, wenn es vorbei ist. Und die Kopien von allen Aufnahmen, die gemacht wurden.« Max sah zu Jed, der mit dem Glasschneider beschäftigt war. »Bitte zwingen Sie mich nicht dazu, das Material bei Ihren Kollegen einzutreiben. Es wäre ein großer Fehler, auch nur einen Fitzel davon zu veröffentlichen, Kyle. Das hätte ernste Folgen.«
»Jetzt bin ich aber überrascht. Es ging nie um den Film. Das, woran ich gezwungen wurde, teilzunehmen, würde mich daran hindern, den Film fertigzustellen, geschweige denn zu veröffentlichen. Das wussten Sie von Anfang an.« Er deutete mit dem Kopf auf das Fenster. »Aber eins müssen Sie mir versprechen: Lassen Sie mich bitte nicht allein da drin zurück.«
»Natürlich. Das versteht sich doch von selbst. Ich bin überrascht, dass Sie mir so etwas unterstellen.«
Kyle schüttelte den Kopf. »Na klar, Max, ganz bestimmt.«
Jed löste ein kreisrundes Stück Glas aus dem Fenster und hinterließ ein Loch, das groß genug war, um hindurchzusteigen. Er legte das ausgeschnittene Glas auf den Boden des Patios. Dann fasste er durch die Öffnung und schloss das Eisengitter auf. Schob es zur Seite wie eine Ziehharmonika, kam wieder hervor und sagte: »Die Show kann beginnen.«
Max zog seine Reisetasche auf und holte eine Pistole, den silbernen Salzstreuer, seine Nachtsichtbrille sowie eine Taschenlampe heraus und steckte alles in die Taschen seines Overalls. Kyle lief es beim Anblick der Pistole kalt den Rücken herunter. »Wissen Sie denn, wie man mit so einer Waffe umgeht, Max?«
»Ich hoffe, dass ich sie nicht brauche, aber für alle Fälle hat Jed mir ein paar Stunden Schießunterricht gegeben.«
Jed steckte seine Pistole in einen schwarzen Werkzeuggürtel aus Segeltuch und hängte Bolzenschneider und Leuchtfackeln daneben. Er merkte, dass Kyle ihm dabei zusah. »Magnesiumfackeln. Für den Fall, dass was schiefgeht. Die erleuchten das Haus wie ein Feuerwerk. Du weißt ja, wie sie das Licht lieben. Es verbrennt
sie. Das erinnert sie an die ewige Verdammnis, der sie aus der Hölle entflohen sind.«
Max sah Kyle an. »In jedem Raum, wo es möglich
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