Der letzte Tag: Roman (German Edition)
kurz darauf wieder auf die Bücherschränke aus Eichenholz, schimmerten und glänzten auf dem blank polierten
Furnier der Bibliothek. Die Stühle aus Esche, Ahorn und Rosenholz im Wohnzimmer wurden in Windeseile dem hereinfallenden Tageslicht ausgesetzt. Das dunkle Teakholz in der kleinen Kammer bekam wieder sein magisches Leuchten, nachdem sie die Vorhänge beiseitegeschoben hatten. Im Billardzimmer leuchtete der italienische Marmor auf, und die vergoldeten Pfauenmotive an den Wänden bekamen ihr ursprüngliches Feuer zurück. Jeder einzelne Raum war sorgfältig instand gehalten und wartete auf bessere Zeiten. Nirgendwo ein Anzeichen von Leben oder dem, was sich als Leben ausgab. Kyle schöpfte schon Hoffnung, dass nichts von dem, wonach sie suchten, im Haus war. Vielleicht war es ja geflüchtet und hatte nur ein wenig Gestank und einige Schmutzspuren hinterlassen, wie es schon so oft vorgekommen war. Aber falls es so war, was dann? Würde er sich dann hinlegen und darauf warten, dass mitten in der Nacht ein dreckiges Maul seine Kehle aufriss?
Nachdem Jed vor der fensterlosen Schwimmhalle mit stillem dunklem Wasser zwischen Wänden aus grünem Glas und weißem Stahl seinen Durst aus seiner grauen Feldflasche gestillt hatte, sagte er: »Wenn’s im oberen Stockwerk zu heftig wird, ziehen wir uns wieder in die Lobby zurück. Das ist unsere Sicherheitszone. Aber nur auf mein Kommando. Niemand haut ab, bevor ich den Befehl dazu gebe, kapiert?« Er zwinkerte Kyle zu und rief: »Mir nach!«
Sie folgten ihm bis zum Fuß der Treppe in der Lobby. Ein verchromtes Metallgeländer mit gerastertem Mackintosh-Muster führte in den ersten Stock, dessen Anfang durch einen mit weißen Pfauenrädern verzierten Rundbogen zu sehen war. Auch hier wieder die Initialen R. F.
»Seid ihr bereit?«, flüsterte Jed.
Weder Max noch Kyle gab eine Antwort.
»Die Fenster im Obergeschoss sind verschlossen. Abgeschlossen. Wir haben nicht die Zeit, sie alle aufzubrechen, also müssen
wir mit dem Licht der Lampen und der Kamera auskommen. Die Nachtsichtbrille und die Fackeln kommen zum Einsatz, wenn es nötig ist. Wir gehen Zimmer für Zimmer ab. Genau wie hier unten. Bis wir die Bienenkönigin gefunden haben. Verstanden?«
Die Assoziationen, die Kyle bei dem Wort »Bienenkönigin« hatte, machten ihm wenig Mut. Max schien sich auch nicht viel besser zu fühlen. Jed hingegen spielte die Rolle des furchtlosen Profis perfekt, oder die des völlig durchgeknallten Psychopathen. Er begann die Stufen hinaufzusteigen.
Sie passierten den pompösen Rundbogen und betraten einen lang gestreckten Korridor, der in nördlicher und südlicher Richtung an der Außenwand des Gebäudes entlangführte. Im dünnen Lichtschein der auf den Pistolen befestigten Lampen konnten sie erkennen, dass jeder Raum, der von dem Flur abging, eine weiße Tür hatte. Dazwischen erstreckte sich die cremefarbene Wand. »Das sind die Gästezimmer«, murmelte Jed vor sich hin. »Da fragst du dich wohl, welcher Promi noch da ist, hm, Spielberg? Würdest wohl gern mal das eine oder andere Interview machen, was?«
»Jed!«, stieß Max mahnend hervor.
Gelegentlich drangen Reste des staubigen Lichts aus dem Erdgeschoss nach oben, als würden in einem auftauchenden Unterseeboot irgendwo in der Ferne die Luken geöffnet. Viel mehr als die vagen Umrisse ihrer Füße auf dem roten Teppich war nicht zu erkennen. Das Licht von unten hatte nicht genug Kraft, um ihnen den Weg zu weisen. An den beiden äußersten Enden des Korridors waren im Licht der Taschenlampen große Bullaugen zu erkennen, die mit Fensterläden verschlossen waren. Nachträglich eingebaut. Vorbereitungen. Von Chet Regal. Offenbar hatte der Mann das dringende Bedürfnis, jeden Funken Tageslicht aus seinem Heim zu verbannen. Bevor sie das Ende des Flurs erreichten, zweigten einige Korridore ab.
Kyle schaltete den Kamerascheinwerfer ein.
Jed drückte die Klinke der nächstgelegenen Tür herunter. »Abgeschlossen.«
»Müssen wir sie alle durchprobieren?«, fragte Max.
Und dann hörten sie es. Ungefähr drei Meter entfernt im ersten Gang, der abzweigte. Über ihnen. Ein Pfeifen drang durchs Treppenhaus, das in das Geschoss über ihnen führte. Es kam aus einem Maul, auf dessen Anblick niemand erpicht war. Es war ein lang anhaltender Vogelschrei, der sich in ein nasales Winseln verwandelte. Kyle kannte diesen Ton nur zu gut. Vor einem ähnlichen Geräusch waren sie aus dem Haus in der Clarendon Road geflüchtet.
Als
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