Der letzte Tag: Roman (German Edition)
ist, werden wir die Vorhänge aufziehen, um uns den Rückweg zu sichern. Wir müssen so viel Licht wie nur möglich in das Haus einlassen, wenn wir hindurchgehen.« Er schaute die Wand hoch. »Sie ist irgendwo da oben. Da drin.«
»Aber Sie wissen nicht, in welchem Zimmer?«
Jed lachte vor sich hin. »Soll das ein Witz sein, Spielberg?«
»Und was ist, wenn sie oder er, oder was immer das ist, sich hinter einer verdammten Eisentür verschanzt?«
»Ich hab noch einen Schweißbrenner im Rucksack. Hab einfach ein bisschen Vertrauen, Spielberg.«
»Und das Kind? Was machen wir mit dem Kind?«
Jed sah ihn fragend an. »Ein Kind? Von einem Kind weiß ich nichts.«
»Das Kind, das er adoptiert hat, Mann!«
»Bist du sicher, dass das ein Kind ist, Spielberg? Ich jedenfalls nicht.«
Kyle sah über die Terrassen und den Hof hinweg und war der festen Überzeugung, dass er jetzt wegrennen sollte. Aber Jeds ganz zufälliges Herumspielen an seiner Pistole hielt ihn davon ab.
»Wartet hier.« Jed zog die Nachtsichtbrille über die Augen, duckte sich und stieg durch die Öffnung im Glas.
Sie betraten einen Speisesaal, der der »Queen Mary« alle Ehre gemacht hätte.
Golden schimmerndes Licht fiel auf den Fußboden mit dem Schachbrettmuster aus schwarzen und weißen Marmorplatten. Kyle blickte sich erstaunt um, erinnerte sich dann aber daran, dass er ja alles filmen sollte. Max konnte die Vorhänge gar nicht schnell genug aufreißen, um das Sonnenlicht ins Zimmer zu lassen. Es lag etwas Entwürdigendes in der Art, wie er sie hastig
zur Seite zerrte, auf beiden Seiten der Tür, durch die sie gerade hereingeklettert waren.
Hinter einer riesigen Bar aus Ahornholz und Chrom auf der rechten Seite des Raums war das Pfauenmotiv in glänzendem Stahl an der Wand angebracht. Alle Tische waren weiß und aus Bakelit gefertigt, aber es gab keine Tischdecken und auch keine Sitzgelegenheiten.
»Keine Stühle?«, fragte Kyle.
»Wir sind doch nicht hier, um Aufnahmen für ›Heim und Garten‹ zu machen«, sagte Jed und schob die Nachtsichtbrille über den Schirm seiner Baseballkappe. Dann lief er zu Max, der ratlos murmelte: »Und was jetzt? Ich kann mich nicht erinnern. Ich kann nicht …«
Kyle trat hinter die beiden und filmte ihre Unterhaltung. Selbst wenn diese Aufnahmen niemals die Chance hatten, einen Preis zu gewinnen, wollte er wenigstens klarmachen, wer hier das Sagen hatte – für den Fall, dass der Film der Polizei in die Hände fiel. Vielleicht konnte er auf diese Weise verhindern, den Rest seines Lebens hinter Gittern zu verbringen.
»Nebenan ist die Küche. Dahinter die Waschküche. Auf der anderen Seite befindet sich der Salon, und dahinter kommt ein Billardzimmer. Wir lassen erst mal überall Licht rein. Dann können wir uns jederzeit nach unten zurückziehen.«
Kyle filmte den riesigen Kamin, der sich gegenüber der Bar an der anderen Zimmerseite befand und mit rosa und aquamarinblauen Kacheln ausgelegt war.
»Spielberg!«
Kyle drehte sich um.
Jed grinste ihn an. »Bleib von den Schornsteinen weg. Da drin ist es verdammt dunkel. Man weiß nie, was rauskommen könnte.«
Kyle trat rasch ein paar Schritte zurück und wandte sich dem eleganten Mauerbogen zu, der aus dem Speisesaal führte. Zoomte ihn heran. Aber er konnte nicht erkennen, was sich im abgedunkelten
Raum dahinter verbarg. Die Düsternis dort wirkte, als würde sie vom Ende aller Existenz künden und jeden vernichten, der sich dort hineinbegab.
Wieder hörte er die Stimme von Jed. »Weiter vorne liegen der Swimmingpool, die Bibliothek, ein Gesellschaftszimmer, ein Wohnzimmer und eine kleine Kammer. Ach ja, und dann noch der Lift, von dem wir uns aber fernhalten.«
»Ganz recht, ganz recht«, pflichtete Max ihm eifrig bei. Kyle war der festen Überzeugung, dass Jed ihm unbedingt die Waffe abnehmen sollte. Es wäre wirklich vernünftiger gewesen, er hätte die Pistole gehabt.
»He, Max, wie wär’s, wenn wir tauschen, Kamera gegen Pistole?« Keiner reagierte darauf.
Sie näherten sich dem Rundbogen. Jed ging voran, Kyle folgte ihm, und Max schlurfte hinterher. Er schnaufte vor Angst und Anspannung. Bevor sie ihre kleinen Taschenlampen einschalteten, bemerkten sie einen ekelhaften Geruch. »Sie sind da«, sagte Max hustend. Der bekannte grauenerregende Gestank nach toten Vögeln, Abwasser und modriger Kleidung hing in diesem Raum, der seit ewigen Zeiten nicht mehr gelüftet worden war. Er schien direkt von oben zu kommen, aus dem gigantischen
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