Der letzte Tag: Roman (German Edition)
bei der letzten Sequenz dort oben den Ton eingeschaltet. Die beiden angehefteten Mikrofone waren an gewesen und außerdem das auf dem Galgen. Die Tonaufnahmen von der Szene, als sie aus dem Penthouse flüchteten, waren kristallklar. Das war der Moment der Wahrheit: Wie viel von diesem eigenartigen Durcheinander hatten sie festgehalten?
Die nächste Szene begann. Auf dem Bildschirm war Kyle zu sehen, der von Dan gefilmt wurde. Er sprach in die Kamera und erzählte von der Distanz, die Katherine zu ihren Anhängern aufgebaut hatte, bis die Kamera zu wackeln begann, zur Seite kippte und nur noch die Hälfte von Kyles Gesicht im Bildausschnitt zu sehen war. Das war der Moment, als Dan sagte: »Alter! Hier ist definitiv noch jemand im Haus.«
Kyle standen die Haare zu Berge, als er das leise Kratzen von etwas vernahm, das sich jenseits des Blickwinkels der Kamera über den Parkettfußboden bewegte. Das Geräusch kam aus einem entlegenen Winkel des Flurs im Penthouse. Kein Zweifel, es war zwar nur ganz leise, aber man konnte deutlich irgendwo das Schlurfen von Füßen hören.
Das nächste Bild zeigte Kyles blasses Gesicht. Er sah, wie er ängstlich schluckte, und es war deutlich zu erkennen, dass seine Kehle sich wie eingeschnürt anfühlte.
»Was ist das denn?« , fragte Dan, während er die Kamera vom Stativ abmontierte. Die nackten Wände des leeren Zimmers schienen im Licht des Kamerascheinwerfers zu wackeln, bis das
Objektiv sich schließlich auf die dunkle, leere Türöffnung richtete. Im Off hörte man die hektische Unterhaltung zwischen ihm und Dan, ihre angespannt klingenden Stimmen, ihre Atemlosigkeit, alles war deutlich zu verstehen:
»Woher zum Teufel soll ich das denn wissen?«
Dan stellte die Kamera auf dem Boden ab.
»Das ist nicht witzig. Überhaupt nicht.«
»Ich werde jetzt …«
Die unklare Aufnahme auf dem Bildschirm zeigte nur den blassen weißen Lichtkegel des Kamerascheinwerfers, der sich über den Parkettboden erstreckte, weiter entfernt schlug eine Tür zu. Und zwar so heftig, dass das Bild erzitterte.
»Los, raus hier!«
Die auf dem Boden liegende Kamera vibrierte, als ihre vorbeirennenden Füße und Beine zu sehen waren, die sich auf die Tür zubewegten. Dort hielten sie an. Kyles ausgelatschte Converse-Turnschuhe sahen im Scheinwerferlicht grau aus. Dans schwarze Sportschuhe kontrastierten mit dem grünlichen Farbton seiner kräftigen Beine. Er hatte Shorts angehabt, und das Licht ließ seine schwarze Körperbehaarung unsichtbar werden, als hätte er sich die Beine rasiert. Sie standen nebeneinander in der Tür, starr vor Angst. Die Kamera nahm sie nur von den Füßen bis zu den Hüften auf. Weiter nicht.
In der sicheren Umgebung seiner Wohnung horchte Kyle auf das, was sie dort in dem angeblich leeren Haus gehört hatten.
Seine eigene angespannte Stimme tönte aus den Lautsprechern des Laptop: »Wer ist da?« Niemand antwortete darauf, man hörte nur, wie das Geräusch abbrach. Er erinnerte sich, dass er in diesem Moment nach rechts geschaut hatte. Dass er in den unbeleuchteten Flur geblickt hatte, von dem aus drei unsichtbare geschlossene Türen in drei dunkle Zimmer führten.
Aber da war es. Ein entferntes Kreischen.
Kyle hielt die Aufnahme an. Ließ sie zurücklaufen. Und dann
noch mal vorwärts. Ein Schrei wie von einem Vogel. Oder ein schrilles Pfeifen. Scharf und kurz.
»Hörst du das?«
Auf der Aufnahme fragte er Dan, ob das Geräusch von draußen gekommen war.
»Lass uns verschwinden« , sagte Dan. Er hatte Schwierigkeiten, sich klar zu artikulieren, er keuchte, er hatte Angst.
Das Mikrofon hatte auch Kyles Stöhnen und Dans Husten aufgenommen. Dieser Geruch. Dieser eigenartige Gestank, der ihnen aus den dunklen Ecken des oberen Stockwerks entgegengeschlagen war. Und wieder war auf der Tonspur dieses entfernte Pfeifen zu hören, es klang wie Vögel, die in Panik aus einer Hecke flattern. Und dann …
Kyle spulte den Film zurück. Horchte erneut auf das Geräusch. Was war das nur? Irgendwie tierisch. Plötzlich und heftig. Ein kehliges, feuchtes Grollen, mit einem Anklang von Knurren. Und etwas erwiderte dieses Grollen. Etwas, das wie ein Hund klang. Ja, wie ein verängstigter Hund, der winselte.
Er spulte die Aufnahme noch dreimal zurück und hörte es sich erneut an. Kann ein Mensch solche Geräusche machen?
Er drückte auf PLAY. Und lehnte sich so weit vor, dass sein Kopf sich direkt vor den Lautsprechern befand, die von einem lauten Getrappel vibrierten. Das
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