Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Jedenfalls dachte ich das.«
»Dann habe ich mir das also nicht eingebildet. Wir haben in
dem Haus einen gewaltigen Schrecken bekommen. Ich bewundere Sie, dass Sie es da drin so lange ausgehalten haben. Wir sind da schreiend rausgerannt, wie verängstigte Kinder. Da war dieser Luftzug …«
»Der genau in der Mitte des Treppenhauses wehte?«
Kyle nickte.
»Was halten Sie also davon? Sie sind der Experte.«
»Experte würde ich nicht sagen. Von solchen Dingen habe ich noch nie gehört. Mir kommt es so vor, als wäre da ein Poltergeist zugange, vielleicht …« Kyle schluckte. »Haben Sie nie irgendwas gesehen?«
Rachel Phillips schüttelte den Kopf. »Gott, nein. Aber das, was ich da erlebt habe, reicht völlig aus, um den Rest meines Lebens davon zu zehren.« Sie warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Ein Hinweis noch, in aller Freundschaft. Ich möchte nicht, dass Sie meinen Namen in Ihrem Film erwähnen. Ich werde darauf achten.«
»Nein, nein, keine Sorge. Daran würde ich nicht mal im Traum denken. Die Aussage eines Nachbarn bestätigt das, was Sie mir erzählt haben. Dan, mein Kameramann, hat am Sonntag mit ihm gesprochen, als wir zurückgegangen sind, um unsere Ausrüstung zu holen. Er sagte, dass dort ständig Leute ein- und ausziehen. Niemand bleibt dort für längere Zeit. Das ist noch nie vorgekommen. Das Haus wurde ständig repariert und renoviert. Es ging ihm total auf die Nerven. Er hörte überhaupt nicht mehr auf, davon zu erzählen, wie da der Schutt rausgetragen und schon wieder alles eingerüstet wurde und das Hämmern und Bohren von vorne losging. Ich werde nur ein bisschen davon reinbringen, was ehemalige Bewohner des Hauses erzählt haben, aber ich werde bestimmt nicht Ihren Namen erwähnen.«
»Gut. Dann erzählen Sie mir was über die Geschichte dieses Hauses. Sie sagten doch, da gäbe es etwas. Natürlich hat der Makler das nie erwähnt, aber ich habe den Verdacht, dass mir das, was
Sie mir erzählen können, überhaupt nicht gefällt. Ist es … spukt es dort?«
»Wir beginnen gerade die Dreharbeiten für eine Dokumentation über den Tempel der Letzten Tage.«
Rachel Phillips sah aus, als würde sie einen Herzschlag bekommen. »Diese Sekte. Aus Amerika?«
Kyle nickte. »Die haben anfangs in diesem Haus gewohnt. Damals nannten sie sich noch ›Die Letzte Zusammenkunft‹. Sie lebten dort in den Jahren 1968 bis ’69.«
West Hampstead, London
13. Juni 2011, 14.45 Uhr
»Max, jetzt beruhigen Sie sich doch!«
»Ich hab Ihnen niemals gesagt, dass Sie losgehen sollen, um irgendwelche verdammten Anwältinnen oder die bescheuerten Nachbarn zu befragen! Sie haben genug zu tun und müssen nicht woanders herumschnüffeln. Ich hoffe nur, dass ich mein Vertrauen nicht dem falschen Mann geschenkt habe, Kyle.« Max’ Stimme am anderen Ende der Leitung zitterte, aber nicht nur vor Wut. Er klang, als könnte er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»He, he, bleiben Sie ruhig. In Ihren Papieren steht doch ausdrücklich, dass wir den Auftrag haben zu recherchieren und paranormale Phänomene filmen sollen, die mit dem Glaubenssystem des ›Tempels der Letzten Tage‹ zu tun haben. Das ist genau das, was Sie mir aufgetragen haben. Wenn ich nun eine ehemalige Bewohnerin der ursprünglichen Sektenzentrale befrage, die direkt von diesen erwähnten Vorkommnissen berichtet, dann ist das für den Film eindeutig von Belang. Und diese ›verdammte Anwältin‹ wirkt auf den ersten Blick eindeutig glaubwürdiger als Schwester Isis, die, nebenbei bemerkt, aussieht, als käme sie aus dem Irrenhaus.«
»Seien Sie nicht so unfreundlich! Die Dame ist absolut ehrlich und glaubwürdig. Sie war dabei. Unmittelbar, Kyle! Diese Anwältin und ihre
Nachbarn waren das nicht. Susan White würde ihre Aussagen niemals ausschmücken. Egal, was sie Ihnen erzählt hat, Sie können sich auf den Wahrheitsgehalt absolut verlassen.«
Das war eine ganz neue Seite. Er hatte Max als einen geradlinigen klar denkenden Strategen kennengelernt, einen, der sehr von sich eingenommen und womöglich bauernschlau war. Aber nun wirkte er völlig aufgelöst. Jähzornig und emotional, auf jeden Fall unbeherrscht. Und es schien ihm nichts auszumachen. »Hören Sie, Max, meine Arbeit spricht doch für sich. Ich bin gründlich, ich folge neuen Hinweisen. Ich lasse eine bedeutende Aussage nicht einfach unter den Tisch fallen. Ich suche nach glaubwürdigen, belastbaren Aussagen von zuverlässigen Personen. Rachel Phillips ist
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