Der letzte Tag: Roman (German Edition)
wären wir.«
Kyle seufzte und verschränkte fröstelnd die Arme. Schenkte sich eine großzügige Portion Rum ein und kippte alles runter wie Wasser. Schnappte nach Luft, als er spürte, wie seine Kehle brannte. »Iss die Pizza auf, Dan.«
»Ich werde nicht damit fertig.« Dan schloss die Augen und stöhnte. »Ich konnte überhaupt nichts machen. Wusste nicht, ob ich ihn zum Auto schaffen sollte. Aber du hattest ja die Schlüssel. Und … ich dachte … ich war der festen Überzeugung, dass da überall Fallen versteckt waren, überall um uns herum. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich hab die ganze Zeit nach dir gerufen.«
»Und ich hab überhaupt nichts gehört. Wie kann das denn sein? Ich hätte dich doch hören müssen.«
Im Krankenhaus war es zu einem heftigen Wortwechsel zwischen dem Arzt und dem Mann aus dem Dorf gekommen. Kyle und Dan verstanden kein Französisch. Sie fühlten sich überflüssig. Alles, was sie wussten, war, dass sie einen blutbesudelten Minivan voll mit Filmausrüstung hatten.
Er erinnerte sich noch an die Erleichterung, als er hörte, dass Bruder Gabriel überleben würde. Die Nachricht wurde ihnen von einer schwarzen Krankenschwester in charmantem gebrochenen Englisch überbracht.
»Aber Bein. Ist ab. Von hier …«, erklärte ihnen daraufhin der Arzt. »Amputation.«
Was wird jetzt mit dem kleinen Fuß in dem schmutzigen weißen Turnschuh passieren, hatte Kyle sich gefragt, schockiert, entsetzt, völlig benommen angesichts dieser schrecklichen Folgen. Danach warteten Dan und er weitere drei Stunden im Krankenhaus. Blutbeschmiert, müde, hungrig und im Schockzustand.
Abwechselnd erfüllt von Wut und Erschöpfung, wählte Kyle draußen auf dem Parkplatz Max’ Nummer und sprach mit ihm, während er aufgebracht über den Asphalt tigerte. Eine ganze Weile lang reagierte Max überhaupt nicht auf die Informationen, die Kyle ihm über das Telefon entgegenschleuderte: »Sie haben uns auf diesen Weg mit den gottverdammten Fallen geschickt!«
Schließlich meldete sich Max mit müder, dünner Stimme doch
noch zu Wort: »Aber ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie auf dem Pfad bleiben müssen.«
»Da war überhaupt kein Pfad, du Arschgeige!«
»Hören Sie, ich bin doch nie dort gewesen. Woher soll ich das denn wissen?«
»Wieso das denn? Wieso sind Sie eigentlich nie dort gewesen?«
»Wird er es überleben?«
»Ja, aber das Bein ist ab. Abgeschnitten! Die mussten es unterhalb des Knies amputieren.«
»Oh, lieber Gott, nein.«
»Doch, lieber Gott, doch.«
»Versicherung. Sie sind alle versichert.«
»Erzählen Sie das mal Gabriel! Und seiner neunzigjährigen Mutter, um die er sich kümmern muss. Was haben Sie sich überhaupt dabei gedacht, Max?«
Es folgte ein längeres Schweigen.
»Max! Hallo! Max!«, schrie Kyle in sein Handy.
»Sogar jetzt noch. Sogar jetzt kann sie es noch.«
»Was? Ich versteh Sie nicht …«
»Haben Sie … irgendwas gesehen?«
»Irgendwas gesehen? Wie meinen Sie das?«
»Etwas Ungewöhnliches.«
»Ja, Mann, allerdings. Ihr verdammtes Bett steht immer noch in dieser Fermette. Und es war voll mit … mit … Kröten. Würmern. Schlangen. Scheiße, was weiß ich. Und dann sind da … Sachen an den Wänden. An den Wänden, Max! Im Tempel, im Schlafzimmer. Was ist das? Was sind das für Figuren? Und der ganze Ort … mit dem Bauernhof stimmt was nicht. Da ist irgendwas ganz falsch.«
»Was meinen Sie damit?«
Kyle setzte sich auf den Asphalt. Inzwischen war ihm ziemlich egal, was die Leute über ihn dachten. Die übernächtigten Rettungssanitäter, die vorbeiliefen, die Leute, die in der Notaufnahme
und der Unfallstation aus- und eingingen. »Gabriel ist total durchgedreht. Hat irgendwas davon gefaselt, dass sie immer noch da seien. Genau in dem Moment, als wir dort ankamen. Dann wollte er die Gebäude nicht betreten. Und es schien tatsächlich so, als ob da irgendwas wäre. Im Tempel. Ich hörte jemanden da drin, als ich gefilmt habe. Und auch in diesem Häuschen, in dem Katherine wohnte. Im Erdgeschoss. Jemand kam rein. Aber es war niemand mehr da, als ich nach unten kam. Ich bin ziemlich durcheinander, Max. Das macht mich völlig fertig. Was ist denn los mit diesem Hof? Was geht da vor?«
»Wir sprechen darüber, wenn Sie wieder zu Hause sind.«
»Zu Hause! Was sollen wir denn jetzt machen, Max? Mit Gabriel? Was?«
»Ich kümmere mich darum. Sie fahren morgen einfach zurück, wie es geplant war. Wir treffen uns dann, wenn Sie sich ausgeruht
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