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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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den ganzen Tag versucht, euch zu erreichen. Ihr müsst euch das unbedingt ansehen. Als ihr euch in die Hosen gemacht habt wie zwei aufgeregte Schulmädchen, ist was ziemlich Eigenartiges im Hintergrund vor sich gegangen. Auf allen drei Tonspuren. Das kann nie im Leben die Atmo sein. Ihr habt bestimmt eine CD abgespielt. Und dieser andere Typ, der da bei euch war, dieser Drogenfreak, der aussieht, als wäre er gerade aus einem Sarkophag im British Museum gestiegen, der ist überhaupt nicht da. Das ist gar kein Junkie. Ich hab das Bild vergrößert und die Pixel angeschaut, aber da ist nichts. Nichts. Der ist durchsichtig. Wie habt ihr das denn gemacht? Bitte sagt mir, dass ihr das wart, und dass ihr euch jetzt über mich kaputtlacht. F. M.
    Sie lachten nicht. Dan starrte Kyle mit verkniffenem Gesicht an, ratlos. »Was meint er denn damit?«
    Kyle merkte, wie er blass wurde. »Keine Ahnung.«

Caen, Normandie
16. Juni 2011, 5 Uhr
     
    Keine Sonne war zu sehen, nur eine unendliche schwarze Wolke, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte, über schwarzem Wasser und einer staubigen Ebene davor. Hier wuchs überhaupt nichts. Ein kalter Wind wehte in Böen über den grauen Staub, die Asche, den Ruß und das stille Wasser.
    Seine Ankunft in dieser Weite blieb nicht unbemerkt. Auf dem brackigen Strand, auf den träge ölige Wellen plätscherten und sich wieder zurückzogen, erhoben sich lumpige Gestalten müde auf ihren dünnen Beinen. Eingehüllt in die Überreste von Kleidern, streckten diese zerlumpten Silhouetten die Arme zum Himmel, und aus ihren unsichtbaren Mündern ertönte leises Jammern.
    Keine Vögel waren in der Luft, sie bildeten das schreckliche Treibgut in den Gezeiten des toten Wassers. Zu Tausenden wurden sie angespült. Ein schwarzer Haufen aus Federn und Knochen, über die die zerlumpten Menschen staksten, um sie mit ihren langen Gliedern, Vogelscheuchen gleich, aufzusammeln und feilzubieten wie Kostbarkeiten, die Bettler einem König darbringen.
     
    Kyle erwachte aus seinem Traum, auf seinem Gesicht die salzigen Spuren getrockneter Tränen. Stundenlang hatte er geträumt, erinnerte sich aber nur an die letzte Szene, eine schreckliche Quälerei,
die an einem toten See endete. Aber er wachte nicht vollständig auf. Das konnte er nicht.
    Völlig verwirrt von den fremdartigen Szenen, die er gesehen hatte, und orientierungslos, weil es um ihn herum dunkel war, wusste er nicht, wo er war. In der Ferne war ein Zimmer, dessen Tür offen stand. Ein dünnes bräunliches Licht säumte leicht flackernd die Umrisse des Türrahmens. Von dort ging der schwache Geruch von verbrannten und noch brennenden Dingen aus. Der Geruch eines Lagerfeuers im Herbst, das Knistern von Anzündholz im kalten Regen, der Dampf von durchtränktem schwarzem Fleisch, die Kälte von feuchtem Stein.
    Er versuchte, sich zu bewegen, aber es blieb ein bloßer Wunsch, der Gedanke wurde nicht zur Tat. Er hatte kein Gefühl mehr in den Gliedmaßen, alles war taub, die Gelenke schienen nicht vorhanden zu sein. Sein Atem ging flach und stoßweise, er hatte das Gefühl, ein Gewicht würde auf seinem Hals lasten, aber es war nichts zu sehen in der Dunkelheit. Vielleicht waren auch seine Lungenflügel geschrumpft und konnten ihre Aufgabe nur noch eingeschränkt verrichten.
    Irgendwo in seinem Kopf keimte der Gedanke, dass nicht nur das Licht an diesem Ort fehlte. Er hatte das Gefühl, durch unendliche Tiefen eines lichtlosen Ozeans neben eisigen Gletschern und unter einem sternenlosen Himmel zu schweben. Eine eigenartige, nicht fassbare Anziehungskraft sog ihn nach unten, immer weiter hinunter, durch sein Selbst hindurch und aus ihm heraus.
    Er kämpfte gegen das Nichts an, das versuchte, das letzte Fünkchen seines schreckensstarren Bewusstseins aus ihm zu ziehen, und mit einem Mal wurden ihm seine Arme und seine Beine auf eine geradezu absurd intensive Art bewusst. Sie schienen sich aus der Dunkelheit heraus neu zu definieren, mit nichts weiter als einem leisen Zucken, aber er spürte ihre Ausmaße und ihr Gewicht und bemerkte die ungewohnte Länge seiner Finger. Das konnten doch nicht seine Hände sein. Auch nicht seine Füße.
Sie waren viel zu dünn und zu lang, sperrige, leblose Füße, die über die Matratze herabhingen, so als müsste er plötzlich, wie ein kleiner Junge, der gewachsen ist, feststellen, dass sein Kinderbett zu klein geworden war.
    Gleichzeitig spürte er, dass sich die Proportionen seines Gesichts verändert hatten.

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