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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Wangenknochen und Stirn fühlten sich anders an, sein Mund war klein, die Zähne länger. Lockiges Haar kräuselte sich wie bei einer zu großen Perücke über seine Stirn und seine Schläfen. Es stank. War fettig, ungewaschen, verunreinigt von Schmutzwasser, roch ranzig wie das schmutzige, modrige Kissen, das seinen Schädel umhüllte. Er konnte es nicht sehen, aber er wusste, dass der Kissenbezug mit uraltem Dreck besudelt war.
    Er sank tiefer in die Dunkelheit, unter den ihm fremden Körper, der ihn bisher zitternd gehalten hatte, als versuchte er, Rauch mit gespreizten Fingern einzufangen. Er tauchte noch tiefer ein in die Leere, vernahm das ferne chaotische Durcheinander von Vogelrufen und Menschengeschrei, das näher zu kommen schien, als würde es von diesem hilflosen, gelähmten Ich, das allmählich wegdriftete, angelockt. Die Kakofonie all dieser Stimmen wurde von den Schreien eines Tiers übertönt, die aus seinem Herzen kamen. Schweinisches Grunzen und gutturales Blöken, das aus bebender Kehle inmitten eines riesigen Mauls drang. Eine schwarze Zunge und gelbliche Zähne. Feucht, ganz nah …
    Und dann wachte er auf und fiel herab. Aus der Luft nach unten, aber nicht sehr weit, nur einige Zentimeter, aufs Bett. Von dort wurde er wieder nach oben geworfen, und er richtete sich ruckartig auf, mit elektrisiertem Körper und dem Gefühl, seine frühere Form wieder angenommen zu haben, seine alten, gewohnten Dimensionen.
    Ein Raum … im Hotel … das Zimmer … Caen … Frankreich.
    Er schaute nach rechts und sah nichts. Streckte seine Arme aus, seitlich und nach oben. War blind. Bemühte sich, nicht zu
schreien. Dann sah er das kleine LED-Licht, das einen blinkenden Schimmer an die Wand warf. Das Ladegerät für das Handy. Dann einen rötlichen Schein oben in der Luft auf der anderen Seite des Zimmers, die Stand-by-Leuchte des an der Wand befestigten Fernsehers.
    Das regelmäßige Grunzen und Schnauben, von dem das ganze Zimmer erfüllt war, machte ihn starr vor Angst. Die Dunkelheit war fremd und bedrückend, bot keinen Anhaltspunkt … Jesus, dieses Grunzen, das ist …
    Schnarchen. Nur Dan, der schnarcht. Gott sei Dank. Dan ist betrunken und schnauft wie ein Walross.
    Halb schob er sich, halb fiel er aus dem Bett, richtete sich unbeholfen auf und taumelte durch die Dunkelheit. Mit ausgestreckten Armen, gespreizten Fingern, bis er die Wand berührte. Warum ist es nur so dunkel? Der Tempel. Dieses eigenartige Zwielicht im Tempel. Es hat deine Augen kontaminiert, das ist es. Beinahe hätte er laut aufgeschrien. Die Verdunklungsvorhänge . Er erinnerte sich, dass er sie gestern Abend zugezogen hatte. Solche Vorhänge gab es immer im Hotel, damit man es richtig dunkel haben konnte. Deshalb ist um mich herum alles schwarz.
    Er war ungeheuer erleichtert. Der Traum, der Albtraum verblasste zu einer schemenhaften Erinnerung wie ein altes Schwarzweiß-Foto. Das war es also, sonst nichts. Die Gestalten an den Wänden des Tempels, der schreckliche Unfall von Gabriel, die halbe Flasche Rum, die Erschöpfung, das fremde Bett im abgedunkelten Zimmer, Dans Schnarchen, ein anderes Land, eine andere Welt … Das alles war einfach zu viel für ihn. Deshalb hatte er schlecht geträumt. Aber wieso war er aus der Luft aufs Bett gefallen? Das war neu, so etwas hatte er noch nie erlebt. Das war noch der Traum. Wie wenn man über eine Bordsteinkante stolpert. Der Schock des Aufwachens.
    Er rieb sich die Hände. Das waren wirklich seine Hände. Sie fühlten sich ganz normal an. Und das waren auch seine Füße,
breit und knochig. Sein Haar war schütter, aber glatt, nicht gelockt und überhaupt nicht so fremdartig wie die Perücke einer Schaufensterpuppe.
    Sein Mund war trocken, als hätte er stundenlang offen gestanden, und sein Körper lechzte nach Flüssigkeit.
    Im Badezimmer flammte das grellweiße Licht vor dem makellos sauberen Spiegel auf, aus dem sein Gesicht ihn anstarrte. Da waren auch seine blaugrünen Augen, die seine Freundinnen so geliebt hatten. Er schüttelte die letzten Reste des fremdartigen Gefühls aus seinen Gliedern, versuchte die Verwirrung loszuwerden, diese eigenartigen Gedanken, die sein Gehirn verseuchten. Nahm einen großen Schluck von dem silbrig glänzenden, sauberen Wasser, das aus dem Hahn plätscherte. Hob sein mit Wasser benetztes Gesicht und drehte sich wieder zu dem Durchgang ins dunkle Zimmer um, wo das Bett stand, in dem er nicht mehr schlafen wollte. Aber genau in dem Moment, als er

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