Der letzte Tag: Roman (German Edition)
nickte.
»Wir waren nicht allein in diesem Haus. Auch nicht auf dem Bauernhof. Da bin ich mir ganz sicher. Aber wie lässt sich das erklären?«
Max lächelte. »Mein lieber Kyle …«
»Hören Sie! Sie waren ja nicht da. Es ist wie … und jetzt … na ja … es scheint so, als wäre da etwas aufgestört worden … an diesen Orten. Auf einmal habe ich eigenartige Träume. In Frankreich. Und dann diese Wand im Hotelzimmer … das Badezimmer hatte sich verändert. Auf einmal war da ein Bild von irgendetwas an der verdammten Badezimmerwand, Max. Ich hab’s bemerkt, nachdem ich den beschissensten Albtraum meines Lebens hatte. Ich weiß ja, dass Sie eine Dokumentation über paranormale Ereignisse haben wollen, aber das hier, verdammte Kacke …«
Max schloss die Augen, vor allem wegen seiner unschönen Wortwahl, wie Kyle annahm.
»Entschuldigung. Ich hab mich ein bisschen im Ton vergriffen. Aber das ist ein echtes Problem, Max. Als diese erste Erscheinung auftrat, hab ich noch gedacht, es könne irgendein Drogensüchtiger sein. Bei der zweiten und dritten dachte ich, es läge an meiner Übermüdung. Aber das im Badezimmer? Ich hab es gefilmt. Und dann das mit Susan, von Gabriel ganz zu schweigen. Was zum Teufel geht hier vor?«
Max riss die Augen auf und starrte die Speicherkarten an. »Keine Ahnung. Aber wer weiß, was diese verrückte Katherine
alles getan hat. Bewirkt hat. In ihre Sekte eingebracht hat. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Aber ich hege schon lange den Verdacht, dass ihr eine Verbindung … ein Durchbruch gelungen ist, in einen Bereich, mit dem man niemals Kontakt aufnehmen darf. Deshalb ist der Film so wichtig, solange noch Zeit ist.« Max rieb sich das Handgelenk. »Jetzt verstehen Sie vielleicht mein Motiv, warum ich diesen Film machen muss. Ich hatte recht …«
»Zeit? Was meinen Sie damit: ›Solange noch Zeit ist‹?«
Max rutschte unruhig auf seinem Sessel herum. »Es sind nicht mehr viele von uns übrig. Ich konnte nur drei ehemalige Mitglieder aus der Zeit in London und Frankreich aufspüren.« Er räusperte sich. »Von den damals erwachsenen Angehörigen der Sekte aus Katherines Zeit in Arizona noch weniger. Ich habe nur zwei ausfindig gemacht. Und jetzt ist nur noch eine Person übrig. Haben Sie eine Ahnung, wie wertvoll ein Gespräch mit Martha Lake jetzt sein kann? Wir können uns keine Verzögerungen leisten.«
»Warum jetzt, Max? Warum ist sie ausgerechnet jetzt bereit, ihr Schweigen zu brechen? Martha Lake hat dreißig Jahre lang in völliger Zurückgezogenheit gelebt. Ich hab das im Internet recherchiert. Hab sie gegoogelt. Das Gleiche gilt für die kürzlich verstorbene Patricia Clover. Und was Susan White betrifft, so haben Sie selbst gesagt, dass sie nie mit jemandem über die Sekte gesprochen hat, bevor wir sie in der Clarendon Road trafen. Gleiches gilt für Gabriel, der uns, nebenbei bemerkt, nicht besonders viel erzählte. Ich weiß nur das, was Dan zufällig mitbekam, als er den Arzt …«
»Kyle, Kyle. Können Sie sich nicht vorstellen, wie sehr stigmatisiert sich die ehemaligen Mitglieder des Tempels der Letzten Tage in Amerika fühlen, wie sehr sie das Gefühl haben, für immer gezeichnet zu sein? Gar nicht zu reden von dem, was man uns Mitgliedern der Letzten Zusammenkunft alles unterstellt hat. Über so etwas spricht niemand gern. Jedenfalls für eine lange Zeit nicht. Auch wegen der Kinder. Was da vorgefallen ist …
was mit den Kindern passierte. Die Art, wie sie ihren Eltern weggenommen wurden, wie sie isoliert und unter Katherines Leitung misshandelt wurden. Das war inakzeptabel, das war Missbrauch. Viele von ihnen wurden … Ich kann ja selbst kaum darüber sprechen. Manche wurden nie mehr gefunden. Und wir leben jetzt in sensibleren Zeiten. Nur weil der Nebel der Vergangenheit inzwischen über allem hängt, gelingt es uns jetzt, darüber zu reden. Erst jetzt können wir zugeben, dass wir damit zu tun hatten, erst jetzt können wir uns unserer eigenen Geschichte stellen. Weil wir Frieden finden möchten. Tatsache ist, dass ich ihnen sehr viel Geld für ihre Bekenntnisse bezahlt habe, leider, das muss man auch noch berücksichtigen. Nicht alle hatten so viel Glück wie ich, Kyle, nachdem sie sich vom Einfluss Katherines befreien konnten. Und was uns passierte, das ist etwas, an das sich niemand gern zurückerinnert. Vergessen Sie das nicht. Bruder Gabriel hatte einen Unfall. Susans Tod ist nur ein Zufall. Sie hatte zu hohen Blutdruck.«
»Und der
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