Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Lebens. Ich bin kaum in der Lage, darüber zu reden, schon gar nicht kann ich einfach akzeptieren, was ich erlebt habe. Aber es ist alles dort zu sehen. Ganz konkret und greifbar.«
»Tut mir leid, Kyle.« Max war schon auf dem Weg zur Tür. »Wir haben später noch genug Zeit, um das alles zu besprechen. Und wir brauchen erst noch die Aufnahmen aus Amerika, um irgendwelche Schlüsse ziehen zu können.«
»Max. Da ist aber noch etwas, das sich nicht aufschieben lässt. Eine Sache muss jetzt geklärt werden.«
»Kyle, bitte.«
»Das kann aber nicht warten. Ich habe ziemliche Zweifel an unserer Zusammenarbeit.«
Max blieb direkt vor der Tür stehen, dann drehte er sich um und ging auf die Karaffe zu. Kyle zog den Verschluss heraus und schenkte zwei Gläser ein. »Was für Vorbehalte haben Sie denn?«
Kyle nahm einen großen Schluck von dem rauchigen, samtigweichen Brandy und musste husten. »Bevor wir überhaupt weitermachen, muss ich mich rückversichern. Ich habe versprochen, einen möglichst natürlichen, ehrlichen Film zu machen, und unsere Vereinbarung basiert auf gegenseitigem Vertrauen.« Er hob die Hand, um Max zu signalisieren, dass er ihn nicht unterbrechen solle. »Aber ich frage mich allmählich, was das wohl sein könnte, was Sie mir nicht erzählen wollen. Sie waren ein Mitglied der Sekte. Sie sind zwei Jahre bei der Letzten Zusammenkunft gewesen. Sie waren eins der ursprünglichen Mitglieder. Aber das haben Sie mir nicht mitgeteilt. Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde das nicht herausfinden? Es war doch absehbar, dass die anderen es mir erzählen. Warum haben Sie es also nicht gleich gesagt?«
Max seufzte. Er war irritiert. Schaute auf die Uhr. »Mein Taxi kommt in zwanzig Minuten, Kyle.«
»Dann haben wir ja noch genügend Zeit. Sie sehen gut aus. Sie müssen sich bloß ein Jackett überziehen.«
Verärgert zog Max sich einen Stuhl heran. Setzte sich, lehnte sich zurück und atmete tief aus. Mit einem Mal wirkte er viel älter. An der Stirn, um die Augen und den Mund waren zahlreiche Spuren eines Liftings zu sehen. In guten Momenten wirkte er dadurch hager und glatt, aber jetzt sah sein Gesicht völlig verfallen aus. Er versuchte, seine Anspannung zu überspielen, indem er sich mit der Hand über die Augen fuhr.
Ich hab’s auch versucht, Kumpel. Aber was man gesehen hat, hat man gesehen.
Die implantierten Haare auf Max’ Schädel sahen aus, als wollten sie gleich ausfallen. Als er die Hände wieder herunternahm, glänzten seine Augen feucht. »Ich hatte meine Gründe, warum ich meine Zugehörigkeit zur Gruppe nicht an die große Glocke hängen wollte.«
»Das sollten aber sehr gute Gründe sein, Max.«
»Ich verstehe, dass Sie verärgert sind.«
»Das sollten Sie auch. Sie haben diese Produktion sehr genau im Voraus geplant, haben uns alles Mögliche vorgeschrieben. Ich fand es nicht gut, dass Sie mir wegen des Interviews mit der ehemaligen Bewohnerin des Hauses an der Clarendon Road eine Szene gemacht haben. Und nachdem ich mir das da …« Kyle deutete auf den Bildschirm. »… angesehen habe, frage ich mich, auf was zum Teufel wir uns da überhaupt eingelassen haben.«
Max sprach, ohne Kyle dabei anzusehen. »Es tut mir leid. Aber … hören Sie, die meisten meiner besten Freunde wissen nichts über meine Vergangenheit. Meine Kollegen. Alle, die ich während meiner geschäftlichen Karriere kennengelernt habe, wissen nichts von meiner Verbindung zur Sekte. Ich fühle mich verantwortlich, Kyle. Sehen Sie, ich bin mitschuldig an allem, was
diese Organisation angerichtet hat und was sie denen angetan hat, die einmal dazugehört haben. Und zwar bis zu ihrem schrecklichen Ende.«
Kyle hob ungeduldig die Hände und ließ sie geräuschvoll auf seine Oberschenkel fallen. »Wieso denn?«
»Ich habe die Letzte Zusammenkunft zusammen mit Bruder Heron, der nun von uns gegangen ist, gegründet. Ich war einer derjenigen, die den Anstoß gegeben haben. Und ich wurde sehr schnell und ziemlich hinterhältig von Schwester Katherine ausgenutzt. Schon im ersten Jahr hat sie mich in ihren Bann gezogen.«
»Aber warum wollten Sie das vor mir geheim halten? Das verstehe ich nicht. Sie wissen ja, was ich von strikten Vorgaben halte. Das Thema hatten wir schon.«
Max war schon wieder abgelenkt. Er starrte schweigend vor sich hin, als wäre er ganz woanders als in seiner schicken, hell erleuchteten Wohnung, die eine Art Festung für ihn war. Er schüttelte den Kopf über etwas, das ihm gerade durch
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