Der letzte Tag: Roman (German Edition)
andere? Ihr Freund, der letzte Woche gestorben ist?«
»Bruder Heron war schon seit langer Zeit schwer krank. Krebs. Deshalb wollte er nicht gefilmt werden. Sie, Kyle, sind nicht in Gefahr. Aber sicherlich können Sie das jetzt kaum glauben, oder?« Max lächelte ermunternd, als tröstete er ein verängstigtes Kind.
Kyle sah ihn misstrauisch an, suchte in Max’ Augen nach einem Hinweis auf List und Tücke. Aber er konnte nichts entdecken.
Nachdem sie die entsprechenden Stellen des Rohmaterials aus der Clarendon Road angeschaut hatten und dann auch die Szenen aus dem Tempel und der Fermette in der Normandie, wirkte Max sehr angeschlagen. Seine eine Hand zitterte. Als die Vorführung vorbei war, sprang er eilig auf und schaltete das Licht wieder ein. Auch Kyle war froh, als es anging.
»Ich finde, ein Brandy wäre jetzt in Ordnung, was meinen Sie?«, fragte Max.
»Das ist zwar nicht gerade meine Cocktailstunde, aber ich glaube, das ist eine ziemlich gute Idee. Ich musste mir erst mal einen großen Whisky einschenken, nachdem ich mir das letzten Sonntag in meiner Wohnung angeschaut hatte.«
»Es ist wirklich außergewöhnlich.«
»War das ein Mann? Diese Gestalt, die da mit uns im Haus war? Und diese Dinger an den Wänden, Max. Im Tempel. Was ist das?«
Max rieb sich die Augen und sah dann zur Decke. Als er merkte, dass Kyle ihn beobachtete, schien ihn das unangenehm zu berühren, ganz so, als hätte jemand eine körperliche Missbildung bei ihm bemerkt. Er drehte sich auf dem Absatz um, ging zur Tür und riss sie auf. »Iris! Wo ist sie denn bloß? Iris!«
»Ja, Sir?«
»Den Dekanter.«
Er wandte sich wieder Kyle zu und hob die Hände. »Ich habe so etwas vorher noch nie gesehen.«
»Diese Gestalt in der Clarendon Road? Und dieser Schrei, Max?« Das Echo des letzten Schreis außerhalb des Penthouses in diesem Haus hallte immer noch in seiner Erinnerung wider. »Einerseits wünschte ich, ich hätte es nie gehört. Andererseits ist es einfach unbezahlbar. Können Sie sich vorstellen, wie das in einem Trailer wirkt?«
Max nahm wieder Platz. »Ja, schon.« Er hatte sich geweigert, die Szenen mehrmals anzusehen. Und seine Reaktion auf die Aufnahmen aus dem Tempel auf dem Bauernhof fand Kyle rätselhaft. Die Bilder waren überhaupt nicht gut ausgeleuchtet und wirkten ziemlich scheußlich. Es wäre unbedingt nötig gewesen, sie noch mal genauer zu betrachten, was Max aber strikt ablehnte.
»Susan White hat uns etwas von irgendwelchen ›Erscheinungen‹ erzählt. Aber das hier? Was ist das? Wie hängt das alles zusammen?«
»Ich habe noch nie so etwas geradezu Dramatisches gesehen. Dieser Finger-Kerl …«
»Finger Mouse.«
»Der hat doch nicht etwa … der würde doch nicht in Versuchung geraten, etwas zu manipulieren?«
»Um Gottes willen, nein. Dazu hätte er auch gar keine Zeit gehabt. Und außerdem haben wir diese Geräusche ja vor Ort gehört. Dan und ich. Wir haben alles gehört, was Sie jetzt gehört haben.«
»Aber in der Clarendon Road haben Sie diesen Eindringling nicht direkt zu Gesicht bekommen?«
»Nein. Aber wir haben Schritte gehört. Zweimal. Zuerst im Erdgeschoss und später oben, so als wäre die ganze Zeit jemand mit uns im Haus gewesen. Aber wir haben niemanden gesehen. Es war ja dunkel. Wir wollten die Dunkelheit so effektvoll wie möglich einsetzen.«
»Vergessen Sie die Effekthascherei, Kyle. Wir brauchen keine Schönfärberei. In Zukunft müssen Sie die Drehorte ordentlich ausleuchten, vor allem nachts. Andernfalls kommt es zu diesen Verwirrungen. Dann lädt der Film nur zu falschen Interpretationen ein. Und wir werden beschuldigt, übernatürliche Erscheinungen fingiert zu haben.«
»He, Max, jetzt bleiben Sie aber mal auf dem Teppich …«
»Wurden Sie berührt?«
Kyle sah ihn erstaunt an. »Berührt? Wie meinen Sie das?«
Iris öffnete die Tür, und sie zuckten beide zusammen. Sie brachte eine Kristallkaraffe und zwei Gläser herein. Dann ging sie wieder, wobei sie Kyle misstrauisch beäugte. Max deutete auf den Brandy. »Bedienen Sie sich.« Er blickte auf seine Armbanduhr. Holte tief Luft. »Verflixt. Ich muss mich fertig machen. Mein Koffer ist noch nicht gepackt. Die Beerdigung!«
»Wie bitte? Aber wir haben noch einiges zu besprechen. Sie können doch jetzt nicht einfach abhauen.« Kyle hob die Hände
und deutete auf den Bildschirm. »Wir haben doch noch gar nicht angefangen, die Aufnahmen zu analysieren. Ich hatte letzte Nacht den schlimmsten Horror meines
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