Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
den Kopf ging, und lächelte vor sich hin, allerdings eher wehmütig. »Oh ja, sie war sogar damals schon sehr schlau. Sie war älter als wir. Und sehr erfahren. Eine harte Frau. Aber auch sehr einnehmend, durchaus charmant. Sogar verführerisch, wenn es sein musste. Hinter Gittern hatte sie viel gelernt, das kann ich Ihnen versichern.« Endlich schaute er Kyle wieder an. »Wir waren ihr alle nicht gewachsen. Sie war schon ein Clear bei Scientology, als ich ihr zum ersten Mal begegnet bin, bei einem Meeting von Process in Mayfair. Process war eine andere Sekte. Sie waren viel weiter fortgeschritten als wir, deshalb übernahmen wir viel von ihrer Organisationsstruktur für unsere eigene Gruppe. Sie hatten so einen Zauber, so eine Anmut. Die Ausstrahlung, die sie hatten, wollten wir gern auch besitzen.
    Und ich war jung, naiv und idealistisch. Das, was die Leute damals einen Hippie nannten. Ich war ein Anhänger der Sufi-Mystik,
des Buddhismus, überlegte, ob ich den Franziskanern beitreten sollte, wollte das Leben in einer Kommune ausprobieren, war Anarchist, Pazifist … orientierungslos. Tatsächlich wusste ich nicht, wer oder was ich war. Aber ich wusste, dass ich etwas anderes erreichen wollte als das, was man mit einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften in den Sechzigerjahren so tun konnte. Etwas ganz anderes. Und genau wie meine Freunde war ich das perfekte Material für eine manipulative, soziopathische Persönlichkeit wie Katherine.«
    »Aber warum wollten Sie mir das nicht erzählen? Ich verstehe das immer noch nicht.«
    »Es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben, Kyle. Dass ich so dumm war. Und dass ich es zuließ, dass mir etwas so Greifbares, so Positives entglitten ist. Ich ließ geschehen, dass es vollkommen verdreht und pervertiert wurde. Schließlich war es das genaue Gegenteil von dem geworden, was wir uns erhofft hatten, als wir die Gruppe gründeten. Es sollte ein Ort der Zuflucht und Geborgenheit sein. Aber wir waren leider viel zu naiv … oder unerfahren. Sie hat es uns weggenommen. Und uns gegeneinander aufgehetzt. Das ging ganz schnell. Und dann holte sie andere dazu. Brachte die Mehrheit hinter sich. Und formulierte neue Grundsätze.« Max ballte die Fäuste. »Sie hat alles an sich gerissen. Einfach alles. Es gibt nichts, was ich so sehr bedaure. Ich würde sogar sagen, es ist das Einzige, was ich wirklich bereue. Ich fürchte, ich schäme mich bis heute, dass ich mich von ihr habe vereinnahmen lassen.«
    »Aber wofür brauchen Sie mich? Sie haben doch selbst alles zur Verfügung. Ausrüstung, Geld. Sie haben sogar die ganze Recherche schon gemacht. Sie kennen sogar die Leute, die dabei waren, persönlich.«
    »Das stimmt. Ich habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, den Film selbst zu drehen. Regie zu führen oder zumindest das Skript zu schreiben. Aber ich habe meine Meinung geändert. Aus
verschiedenen Gründen.« Max stand auf und ging zum Bücherregal. Strich über die Rücken der ersten Bücher von Revelation Press. »Ich kann mir dieses Stigma nicht leisten. Meine Produktionsgesellschaft, mein Verlag, meine geschäftlichen Verbindungen und meine Wohltätigkeitsprojekte würden darunter leiden. Alle meine Produkte verkaufen sich, weil sie eine positive Form von Spiritualität vermitteln, weil sie Hoffnung verbreiten und alternative Wege im besten Sinn vorschlagen. Die Letzte Zusammenkunft hingegen … Dieser Film stellt ein enormes Risiko für mich dar. Deshalb habe ich den ›Mysteris‹-Imprint gegründet, nur für diese eine Unternehmung. Der Film darf auf keinen Fall unter dem Dach der Revelation Productions erscheinen. Das ist ausgeschlossen.«
    Max rieb sich mit der Hand über die gestrafften Wangen. »Stellen Sie sich nur die Schande vor, den möglichen Ruin, wenn die Daily Mail herausfindet, dass ich einer der Gründer der Letzten Zusammenkunft war. Sie würden bestimmt keinen Unterschied machen zwischen den Anfangstagen der Sekte und den späteren Verhältnissen im Tempel der Letzten Tage. Das ist dann aus meiner ursprünglichen Idee geworden. Diese monströsen Vorgänge in der Wüste. Ich habe mit angesehen, wie die Dinge schon hier in London im Jahr 1968 aus dem Ruder liefen. Habe zugeschaut, wie das Gift eindrang und sich ausbreitete. Aber ich habe keine Rolle dabei gespielt … in der Wüste. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort, Kyle. Ich habe mein Lehrgeld bezahlt und mich dann abgesetzt. Einen Neuanfang gemacht. Meine Spuren verwischt. Den Kontakt zu den anderen

Weitere Kostenlose Bücher