Der letzte Tag: Roman (German Edition)
sich zusammen und blieb so liegen.
Ganz langsam, mit zittrigen Fingern tastete er sein Gesicht ab. Spürte die Bartstoppeln um seinen sich jetzt wieder vertraut anfühlenden Mund, seine Stupsnase, sein schmuddeliges Haar. Das Gefühl, wieder im Besitz des eigenen Körpers zu sein, breitete sich aus, durchströmte Rücken, Arme und Beine. Er ballte die Fäuste und bewegte die Zehen.
Stand auf.
Da war doch ein Klopfen gewesen, aber jetzt war nur noch ein Kratzen zu hören. Manisches Kratzen, auf dem Teppich. Der Kater, irgendwo da drüben an der Wohnungstür.
Kyle rutschte zum Bettrand und schaltete die Nachttischlampe ein. Blinzelte in das Licht, das ihn schmerzhaft blendete. Erhob sich taumelnd und durchquerte das Zimmer, das gleichzeitig als Wohn- und Schlafraum diente. Schaltete das Flurlicht ein und schaute den Korridor entlang.
Der Kater hockte vor der Wohnungstür und hob leicht den Kopf. Er hatte an dem dünnen Spalt unter der Tür geschnuppert. Mit gesträubtem Fell starrte er ihn aus blitzenden, wie zu kaltem Marmor erstarrten schwarzen Augen angsterfüllt an. Lass mich raus, lass mich raus.
Auf unsicheren tauben Füßen, die sich anfühlten, als hätte er sich mehrere Nerven eingeklemmt, torkelte Kyle den Flur entlang, vorbei an Küche und Badezimmer. Die engen, knapp bemessenen Räume, die nicht mehr Platz boten als ein Wohnwagen, lagen im Dunkeln, die Türen waren zugezogen, aber nicht ganz geschlossen. Irgendwo im Durcheinander der winzigen Küche
war das Katzenklo. Für alle Fälle. Aber vielleicht hatte das Tier es ja nicht mehr ausgehalten, hatte den kritischen Moment überschritten und war nun unruhig und beschämt, wie das bei Katzen in solchen Dingen halt vorkommt. Besser ich bring ihn raus.
Endlich richtig wach, zitterte er vor Kälte. Wenn er den Kater rauslassen wollte, musste er die Treppe hinuntersteigen, um ihn zu der Grünfläche hinter dem Haus zu bringen. »Ich dachte, das hätten wir längst hinter uns. Ich dachte, du kannst es bis zum Morgen aushalten, hm?«
Sicherungskette lösen, Tür aufschließen, und kaum war sie auch nur einen schmalen Spaltbreit offen, huschte der Kater flink nach draußen in das unbeleuchtete Treppenhaus. Kyle stand in seinen Boxershorts zitternd da und fühlte sich alt und gebrechlich, weil die Erinnerung an diesen schrecklichen Traum, an diese missgestaltete Erscheinung, die er selbst gewesen war, noch lebendig war. Er schaltete die Treppenhausbeleuchtung ein, tapste die schmutzigen, mit Teppichboden beklebten Stufen nach unten ins Erdgeschoss und dachte die ganze Zeit über seine nächtliche Vision nach. So etwas hatte er noch nie erlebt, noch nie war ihm ein Traum so real erschienen. Und das war nun das zweite Mal. Er hatte sich außerhalb seines Körpers befunden, war über dem Bett geschwebt, als hätte er sein eigenes Selbst verloren oder wäre aus ihm herausgeholt und woanders hingebracht worden. In eine beängstigende Existenzform. Warum? Die Bilder, die er an den Wänden in der Clarendon Road und in der Normandie gesehen hatte, flackerten in seiner Erinnerung auf.
Kalte Luft drang durch den Spalt unter der Tür zum Hinterhof, unterbrach seinen unangenehmen Gedankenfluss und brachte ihn wieder dazu, sich mit der Wirklichkeit zu beschäftigen. Draußen deutete noch nichts auf eine bevorstehende Dämmerung hin, der Himmel war schwarz, Wolken verdeckten die Sterne. Wie spät ist es eigentlich ? Der Kater richtete sich auf und legte die Vorderpfoten gegen die Tür, um ihn zur Eile anzutreiben.
Noch immer unruhig, mit schwarzen Augen, angespannten Muskeln und gesträubtem Fell. Und dann war er im Dunkel des Hinterhofs verschwunden, ohne das leiseste Geräusch und ohne ihm noch einen Blick zuzuwerfen. »Ich komme heute Nacht nicht noch mal runter«, sagte Kyle, aber der Kater hörte nicht zu. Er war schon längst im verwucherten Garten verschwunden.
Vielleicht brauchte er jetzt das Reinigungsmittel und einen Putzlappen, eine Plastiktüte, um sauber zu machen und den Dreck aus dem Katzenklo oder woanders zu entfernen. Das Putzzeug lag unter dem Ausguss. Normalerweise hatte er keine Lust, sich mitten in der Nacht mit so was zu beschäftigten, aber er stellte fest, dass er ganz froh war, wach zu sein. Dass er nicht mehr in seinem Bett lag oder in der Luft darüber hing .
Die Lichter würde er anlassen. Und noch ein Nickerchen machen, wenn die Sonne aufgegangen war. Danach war noch genug Zeit, um mit der Arbeit anzufangen. Und wieder würde er nicht dazu
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