Der letzte Tiger
Fluss haben, die er hin und wieder besucht. Es müssen alte Freunde aus Armeezeiten sein.«
»Das sind vielleicht welche von den Hausbooten«, sagte der Schiffer. »Von denen waren früher viele beim Militär.«
Der Weg zu den Hausbooten war ähnlich holprig wie die Bergpfade bei Na Cai. Ly fuhr an drei Männern vorbei, die zwischen niedrigen Erdnusspflanzen auf einer Reisstrohmatte saßen. Vor ihnen standen Teller mit gegrilltem Hundefleisch und durchdringend riechender Garnelenpaste. Ihre Gesichter waren vom Alkohol dunkelrot angelaufen. Ein Stück weiter grasten braune Kühe auf einer Wiese. Um sie herum spielten Männer Fußball. Ly musste lachen. Die Männer spielten splitterfasernackt. So etwas hatte er auch noch nicht gesehen. Die Sandbankwar wirklich eine Welt für sich. Kaum zu glauben, dass sie hier mitten in Hanoi waren.
Die Hausboote lagen etwas versteckt in einer seichten Bucht. Anders als die Sampans waren sie keine fahrtüchtigen Boote, sondern eher so etwas wie schwimmende Hütten: Verschläge, gebaut aus Holzlatten, Sperrholzbrettern, Wellblech und LKW-Planen, die auf Pontons aus Ölfässern schwammen. Einige waren über Stege aus langen Bambusstangen mit dem Ufer verbunden, andere trieben weiter draußen.
Ly stellte seine Vespa zwischen Säcken mit Plastik und Metallschrott ab. Ein Hund bellte. Es war ein großes schwarzes Tier, das auf dem Ponton eines der ufernahen Hausboote stand. Ein Mann kam Ly über den Steg entgegen, und Ly fragte ihn nach Nguyen Duy Cao.
»Cao? Klar kennen wir den.« Der Mann zeigte auf eines der Hausboote, das rund zwanzig Meter vom Ufer entfernt lag.
Ly betrachtete das Wasser. Es schien ihm genauso wenig einladend wie das des Westsees. »Wie komme ich da rüber?«
»Schwimmen zum Beispiel«, sagte der Mann, zerrte aber gleichzeitig schon ein aus dicken Styroporplatten zusammengebundenes Floß ins Wasser und bedeutete Ly, sich zu setzen. Er schob ihn zum Hausboot hinüber, wobei er selbst bis zum Bauch durch das Wasser watete.
»Cao«, rief der Mann. »Cao!«
In der Tür des Hausbootes, auf das sie zusteuerten, erschien der Grenzer. Er trug Boxershorts und ein weißes Rippenunterhemd. Sein Blick war nicht freundlich, hatte aber etwas von seiner Feindseligkeit verloren.
Ly hievte sich zu ihm auf den Ponton hoch und folgte ihm in die Hütte. Er musste seinen Kopf einziehen, so niedrig war die Türöffnung. Der Raum, den sie betraten, war kaum größer als ein Doppelbett. Der Boden war mit Matten ausgelegt. Es roch nach Erbrochenem. Dicht an der Wand lag Bang. Er hatte ein Kissen unter dem Kopf und war bis zum Kinn zugedeckt. Er schien zu schlafen.
In einer kleinen Kochnische stand eine Frau. Sie war über eine Schüssel mit Reis gebeugt, den sie mit Wasser aus einem Benzinkanister wusch. Sie sah kurz auf und nickte Ly zu.
In einem zweiten, noch kleineren Raum lagen zwei Jungs in Ducs Alter und sahen fern. Das Bild flimmerte so stark, dass Ly nur an der Musik erkannte, dass der Rosarote Panther lief. Er wunderte sich, dass es hier überhaupt Strom gab. Aber dann sah er die Autobatterie, die auf dem Boden stand.
Der Grenzer ging zu den Jungs hinüber, sagte leise etwas zu ihnen und zog die Schiebetür zu dem kleinen Raum zu. Dann setzte er sich auf den Boden, rückte seine Augenklappe zurecht und sah Ly abwartend an.
»Bang braucht ärztliche Versorgung«, sagte Ly und ließ sich dem Grenzer gegenüber auf den Boden sinken. Mit einem Mal merkte er, wie erschöpft er war.
»Bang erbricht sich noch, ansonsten geht es ihm gut«, sagte Nguyen Duy Cao.
»Sie hätten ihn im Krankenhaus lassen müssen.«
»Wer ihm das angetan hat, könnte es wieder versuchen.«
»Hier in Hanoi?«, fragte Ly und zog eine Thang Long aus der Packung. »Warum? Was weiß Bang?«
Cao lachte heiser und gab Ly Feuer. »Zu viel. Sonst wäre ihm das wohl kaum passiert.«
»Kann er sich denn erinnern, was passiert ist?«
Der Grenzer gab ein knurrendes Geräusch von sich. »Er weiß nur noch, dass er bei diesen Käfigen im Wald war. Er hat da zwei Männer gesehen und ist weggerannt.«
»Kannte er die Männer?«
»Nein. Er meint, es seien Laoten gewesen.« Der Grenzer zündete eine Petroleumlampe an. Obwohl es draußen noch hell war, war das Licht in der Hütte schummrig.
Ly versuchte sich vorzustellen, was passiert war. Vielleicht hatten diese Männer die Käfige bewacht oder die Tiere versorgt. Dann hatten sie Bang entdeckt und Angst bekommen, er könnte sie verraten. Sie waren ihm
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