Der letzte Tiger
gefolgt und hatten zugeschlagen. Vielleicht hatten sie auch Bangs Telefon mit dem Film an sich genommen. Das würde erklären, warum Bang es nicht mehr bei sich gehabt hatte.
»Cao, vor wem haben Sie Angst? Wenn es Laoten waren, werden sie Bang kaum bis nach Hanoi folgen.« Ly drückte seine Zigarette in dem Aschenbecher aus, der auf dem Boden stand, und zog sofort eine neue Thang Long aus der Packung. »Es ist die Baronin, habe ich recht? Sie ist diejenige, die das Geschäft organisiert. Sie hat in Na Cai die Fäden in der Hand.«
Der Grenzer antwortete darauf nicht. Er griff nach einer Schnapsflasche und zwei Gläsern, die auf einem Tablett standen, schenkte ein und trank.
Bang wälzte sich auf seiner Matte herum und röchelte leise, schlief aber weiter. »Was bekommen Sie dafür, dass Sie für die Baronin die Tierlieferungen über die Grenze lassen?«, fragte Ly.
»Meinen Sie, das tue ich?«
»Hören Sie auf! So kommen wir nicht weiter. Es geht um Ihren Sohn.«
Der Grenzer nickte, sah Ly einen Moment an und sagte: »Sie zahlt das Schulgeld für Bang. Und manchmal einen kleinen Zuschuss zu meinem Gehalt.«
»Mehr nicht?«
»Ich habe ihr viel zu verdanken.« Er ließ seinen Blick durch die Hütte schweifen, als würde er sie zum ersten Mal sehen. »Wissen Sie, die Menschen, die hier auf diesen Hausbooten leben – viele von ihnen waren jahrelang in der Armee. Und sehen Sie, was ihnen geblieben ist. Nichts. Das wäre ohne die Baronin auch aus mir geworden. Und ich habe nicht mal mehr ein Gesicht.« Der Grenzer gab wieder dieses heisere Lachen von sich. Er erzählte Ly, dass er die Baronin über ihren Mann, unter dem er bei der Armee gedient hatte, kennengelernt hatte. Nach seinem Unfall mit dem Bären hatte sie ihm geholfen. Ihr Mann war da bereits verstorben. Sie war es, die ihm in Na Cai Arbeit besorgt hatte. Ohne sie hätte er niemals etwas gefunden. Nicht so, wie er aussah.
»Und was ist mit den anderen im Dorf?«, wollte Ly wissen.
»Jeder in Na Cai weiß um ihre Geschäfte mit den Tieren, und die meisten profitieren davon«, sagte Cao. »Als Handlanger. Oder einfach, weil sie schweigen. Die Leute stehen hinter ihr. Sie tut viel für unser Dorf.«
»Was ist mit Khai? Er ist der Ranger. Unternimmt er nichts?«
»Ach was. Dem geben Sie eine Flasche Schnaps, und er ist ruhig.« Der Grenzer machte eine wegwischende Handbewegung.»Die Einzigen, die mal aufgemuckt haben, waren die Hmong.«
»Die Hmong? Wieso?«
»Ich weiß nicht genau. Wahrscheinlich ging es einfach um ihre Bezahlung. Viele von denen jagen. Aber …« Er stockte.
»Aber was?«
»Es gab da einen Unfall.«
»Der Sohn des Hmong-Schamanen?«
Der Grenzer nickte.
»Sein Tod war kein Unfall, oder?«, fragte Ly.
»Ich weiß nicht. Es gab Gerüchte.«
Der Tod von Paos ältestem Sohn war eine Warnung gewesen, dachte Ly. Deshalb war Pao ihm gegenüber so verschlossen gewesen.
»Wenn die Baronin Ihnen so sehr geholfen hat, wieso erzählen Sie mir das dann jetzt alles?«, fragte Ly.
»Mein Sohn wurde verletzt«, sagte er und atmete tief durch, bevor er weiterredete. »Nachdem Sie mich angerufen und nach Bang und den Käfigen gefragt hatten, habe ich versucht, mit der Baronin zu sprechen. Ich wollte, dass sie mich zu den Käfigen bringt. Sie hat sich geweigert. Sie hätte Bang diesem verfluchten Geschäft geopfert.«
Der Grenzer schenkte Schnaps nach. Diesmal hielt er das Glas hoch, um mit Ly anzustoßen. »Ich muss mich bei Ihnen bedanken. Und das mit Ihrem Gesicht tut mir leid.«
Ly deutete mit einem Nicken an, dass er die Entschuldigung annahm. Er konnte nachvollziehen, was in dem Mann vorgegangen war, als er seinen Sohn da im Haus des Schamanen hatte liegen sehen. Der Junge hatte ausgesehen wie tot.
Der Grenzer lächelte, und mit einem Mal wirkte sein Gesicht ganz entspannt. Es bekam fast etwas Weiches. Ly dachte, dass er einmal ein gutaussehender Mann gewesen sein musste.
»Trauen Sie der Baronin einen Mord zu?«, fragte Ly.
»Ich traue ihr alles zu«, sagte Cao. »Nur dass sie zulässt, dass Bang etwas passiert, das hätte ich niemals für möglich gehalten.«
*
Ly ging die Hang-Trong-Gasse hinunter. Er musste mehr über die Baronin in Erfahrung bringen. Sie hatte gute Beziehungen. Da brauchte er mehr Beweise gegen sie als die Aussage eines einzigen Dorfbewohners. Und irgendwo musste er anfangen, wieso also nicht hier?
Es war kurz nach Mitternacht und still, nur von weitem tönte der Ruf des Dampfbrötchen-Verkäufers. » Banh
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