Der letzte Vampir
Oder hatte vielmehr bis vor ein paar Stunden diesem Zweck gedient. Es gab ein kleines Café, eine christliche Buchhandlung, einen Discountschuhladen und eine Post. In allen vier Gebäuden brannte Licht, aber niemand war da.
Gelbes Polizeiabsperrband riegelte beide Enden der Straße ab. Innerhalb des Kordons hielten sich keine Lebenden auf. Dafür eine Menge Leichen.
Arkeley sprach nicht mit ihr. Das war in Ordnung. Sie brauchte nicht noch mehr Schuldgefühle. Sie duckte sich unter dem Absperrungsband hindurch und schritt die Straße ab. Zählte vierzehn Leichen. Sah ihre aufgerissenen Augen. Ein Mädchen im Teenageralter hing über einer Sitzbank, der Leib durch einen Schlag von unaussprechlicher Gewalt zerschmettert. Der Ärmel ihres Mantels war aufgerissen, der Arm darunter kaum mehr als zerfetztes Fleisch. Caxton konnte den Blick nicht von ihrem Gesicht wenden. Dünne blonde Haarsträhnen hingen ihr in die Stirn und über die Nase. Sie klebten an dem getrockneten Speichel im Mundwinkel fest. In der Dunkelheit war schwer zu sagen, welche Farbe ihre Augen hatten, aber sie waren hübsch – oder waren es zumindest gewesen.
In der christlichen Buchhandlung lagen drei Leichen hinter der Theke, denen man allen die Kehle herausgerissen hatte. Ob sie sich hatten verstecken wollen oder die Vampire sie dort aus unerfindlichen Gründen aufgestapelt hatten, vermochte Caxton nicht zu sagen. Da war ein Mann, der eine geringfügige Ähnlichkeit mit Deannas großem Bruder Elvin hatte. Er trug eine Jagdkappe mit roten Ohrenschützern.
Am Ende der Straße war ein Auto, ein Prius, mit einem Laternenpfahl kollidiert. Der Fahrer lag über die Vordersitze verteilt. Caxton konnte nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau gewesen war. Das Gesicht war völlig weg, und das blutleere Gewebe darunter nahm dem Kopf alles Menschenähnliche.
Ein Lichtblitz ließ Caxton zusammenzucken. Sie blinzelte das Nachglühen weg und schaute auf. Auf der anderen Seite der Absperrung standen etwa zwanzig Sheriff-Deputies. Sie warteten respektvoll, wie Leute, die sich aufgestellt hatten, um eine Parade zu verfolgen. Clara, die Fotografin, hatte ein Bild gemacht – das war die Quelle des Blitzes. »Hi«, sagte sie, und Caxton nickte grüßend zurück.
»Wann immer Sie soweit sind, Trooper«, sagte der Sheriff. »Lassen Sie sich Zeit.« Sie begriff, dass man darauf wartete, dass sie und Arkeley ihre Untersuchungen abschlossen. Man hatte ihnen das Recht überlassen, den Tatort als Erste zu begutachten. Das Sheriff’s Department würde übernehmen, sobald sie fertig waren.
»Arkeley«, sagte sie. »Haben Sie etwas Nützliches gefunden?«
Der Fed beugte sich über das Mädchen auf der Bank. »Nichts, was ich nicht schon zuvor gesehen hätte. Also gut, lassen Sie sie rein.« Er ging an ihr vorbei und hob das Absperrungsband. »Vielleicht fällt ihnen was auf, das ich übersehen habe. Ich bin außerordentlich müde, Lady, und ich glaube, ich will nach Hause.«
Sie starrte ihn an, dann trat sie zur Seite, um die Deputies unter dem Band durchtreten zu lassen. »Also gut«, sagte sie, ernstlich überrascht. »Ich hole den Wagen.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, wäre ich gern allein. Ich bin sicher, der Sheriff kann sie nach Hause bringen.«
Sehr seltsam, dachte sie. Bestimmt hatte Arkeley etwas vor. Er würde etwas tun, von dem er nicht wollte, dass sie es sah. »Okay.« Sie war ziemlich sicher, dass sie es auch gar nicht sehen wollte, und gab ihm den Schlüssel des Dienstwagens. »Holen Sie mich morgen ab, wann es Ihnen passt«, sagte sie, aber er hatte sich bereits in Bewegung gesetzt.
»Was hat der denn?«, fragte Clara, aber Caxton konnte bloß den Kopf schütteln.
22.
Clara kniete sich auf den Asphalt, um ein Foto von der Hand des toten Mädchens zu machen. Ein blutloser Riss lief die Handfläche entlang. »Das sieht wie eine Abwehrverletzung aus«, sagte sie. Die Uniformkrawatte baumelte zwischen ihren Knien. »Finden Sie nicht?«
»Ich bin wirklich nicht für solche Dinge ausgebildet«, entschuldigte sich Caxton. Sie war sich nicht darüber im Klaren, was sie noch immer in Bitumen Hollow machte, außer auf eine Mitfahrgelegenheit zu warten. Sie schaute auf die Uhr und war überrascht, dass es erst halb neun war. Es kam ihr vor, als hätte der Kampf gegen den Halbtoten die ganze Nacht gedauert, aber in Wirklichkeit war kaum mehr als eine Stunde vergangen, selbst die Zeit mitgerechnet, die sie auf dem Dach der Jagdhütte verbracht
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