Der letzte Vampir
klar«, sagte Clara. »Sie bekommen den vollständigen Bericht und all meine Fotos, wenn bei Ihnen die Bandbreite ausreicht.«
Caxton nickte. Die State Police testete neue Handhelds, die einen größeren Speicher und bessere drahtlose Internetverbindungen hatten als die Laptops in den Streifenwagen.
»Das wird wohl hinhauen.« Sie rieb sich die Nase. »Und jetzt bringen Sie mich hier weg.«
»Ich trage mich bloß schnell beim Sheriff aus.« Clara eilte los und überließ Caxton ihrer neuesten Prellung. Als sie zurückkehrte, hatte sie die Krawatte abgenommen und den obersten Knopf ihrer Uniformbluse geöffnet. »Kommen Sie«, sagte sie. »Im Wagen können Sie schlafen.«
23.
Sie konnte nicht im Wagen schlafen. Claras Auto war ein umgebauter Crown Victoria, wie fast alle Polizeiwagen. Er hatte große Ähnlichkeit mit Caxtons Streifenwagen. Dafür ausgelegt, Polizisten mit allen nötigen Informationen zu versehen, war das Armaturenbrett mit Instrumenten übersät: Die Anzeige für eine Radarpistole, der allgegenwärtige befestigte Laptop für die Überprüfung von Kennzeichen, der Videorekorder, der alles überwachte, was sowohl im Wagen wie auch aus der Perspektive der vorderen Stoßstange geschah. Die verschiedenen Funkempfänger krächzten in unregelmäßigen Abständen. Wegen der kugelsicheren Trennwand direkt hinter Caxtons Kopf konnte man den Sitz nicht zurücklehnen. Dieser Wagen war ein Arbeitsplatz, kein Schlafzimmer. Nachdem sie sich fünfzehn Minuten zu entspannen versucht hatte, zupfte sie sich stumm und frustriert an den Haaren herum.
Clara warf ihr einen Blick zu. »Ich weiß, was Sie brauchen«, sagte sie und nahm die nächste Ausfahrt. Sie fuhr auf den Parkplatz eines eingeschossigen Gebäudes, unter dessen Dachkante weiße Lichterketten aufgehängt waren. Eine kleine Taverne, aus deren Fenstern helles, fröhliches Licht drang, das von den gedämpften Lauten einer Jukebox begleitet wurde, die irgendeinen scheußlichen Countrysong spielte. Sie traten ein, schnappten sich einen Stuhl an der Bar, und Clara bestellte Coronas mit extra Limone. »Sie werden nicht schlafen können. Sie sind angespannt wie eine Feder.«
Caxton wusste, dass das stimmte. Sie verspürte keine große Lust auf das Bier, auch wenn sie es nicht ablehnte. Sie war keine große Trinkerin – eigentlich war sie ein Morgenmensch und noch nie bis zum Zapfenstreich in einer Bar geblieben. Aber die kalte, feuchte Flasche in der Hand und der Limonengeschmack auf den Lippen machten ihr klar, dass sie schon seit langem die unbeschwerte, gute Laune vermisst hatte, die sich einstellte, wenn man von freundlichen Leuten umgeben in einer Bar saß. Vermutlich war sie nicht mehr an einem solchen Ort gewesen, seit sie Deanna kennengelernt hatte.
Auf einem großen Plasmabildschirm am anderen Ende der Bar lief ein Football-Spiel. Caxton sah auch nicht viel fern, und das helle Licht und die beständige Bewegung zogen ihren Blick an. Football interessierte sie nicht im Mindesten, aber die nichtssagende Normalität des Ganzen war irgendwie nett.
Langsam lockerten sich ihre Schultern. Allmählich ließ die Anspannung nach, und sie sackte leicht auf dem Barhocker zusammen. »Das«, sagte sie, »ist gar nicht so übel.«
»Hey, sehen Sie mal«, meinte Clara und zeigte auf den Bildschirm. Der Lokalsender brachte jetzt die Nachrichten. Es war erst zweiundzwanzig Uhr. Der Aufmacher begann mit einem Bericht aus einem Waldgebiet, mit viel Scheinwerferlicht und einem Reporter, der ständig mit aufgerissenen Augen und gespitzten Lippen in die Kamera starrte. Caxton hatte keine Ahnung, was da eigentlich vor sich ging, bis sie ihr eigenes Gesicht erblickte, das sich blass und geisterhaft aus der Dunkelheit schälte, um in Videokameralichter getaucht zu werden. »Stellen Sie doch bitte den Ton lauter«, bat Clara den Barmann.
»Ich erinnere mich überhaupt nicht an Kameras«, sagte Caxton und erkannte, dass es sich um den Ort des Vampirangriffs handelte. Jedenfalls das Nachspiel.
»… durften noch immer nicht die Toten sehen«, leierte die Reporterin herunter, »und hier herrscht eine Atmosphäre echter Geheimhaltung, das muss ich schon sagen, als wollte der Marshals Service etwas vertuschen. Vierundzwanzig Stunden später haben wir noch immer keine Informationen über den angeblichen Vampir. Die Behörden haben nicht einmal seinen Namen freigegeben.«
Vierundzwanzig Stunden? Dauerte das alles wirklich erst einen Tag? Caxton legte eine Hand auf den Mund.
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