Der letzte Vampir
Im Fernsehen wandte sich ihr emotionsloses Gesicht vom Licht ab. Da war eine vage Erinnerung, dass ein Licht sie belästigt hatte, aber es war ihr nicht bewusst gewesen, dass die Medien eingetroffen waren, während sie ihren Bericht erstattete. Der Kampf mit dem Vampir musste sie so geschockt haben, dass sie wie benommen gewesen war.
»Eine Quelle bei der Pennsylvania State Police gab uns heute Nachtmittag ein Interview unter der Bedingung der Anonymität. Der Mitarbeiter sagt, der angebliche Vampir habe keinerlei Warnung erhalten oder eine Gelegenheit, sich den Behörden zu ergeben. Diane, in den kommenden Tagen werden wir bestimmt noch eine Menge über diese Geschichte hören.«
»Danke, Arturo«, sagte die Nachrichtenmoderatorin im Studio. Sie sah ruhig und völlig unbeeindruckt aus. »Bleiben Sie dran für weitere …«
»Wollten Sie das hören?«, fragte der Bartender. Als Clara nickte, dämpfte er wieder den Ton und schaltete zu einer Realityshow um: Unterwäschemodels, die in einer Metzgerei arbeiteten.
»Wow, Sie werden zu einer Prominenten, ist Ihnen das klar?«, fragte Clara. »Jeder Nachrichtensender im Land wird ein Interview haben wollen.«
»Klar, wenn ich so lange überlebe«, sagte Caxton kaum hörbar.
»Was?«, fragte Clara. Als Caxton es nicht wiederholte, schüttelte sie den Kopf. »Wow. Also, wie war der Vampir?«
»Blass. Groß. Mit vielen Zähnen«, antwortete Caxton.
»In der High School war ich richtig besessen von Vampiren. Meine Freunde und ich hatten Umhänge und falsche Vampirzähne, und damit machten wir kleine Filme, wie wir einander mit unseren besten verführerischen Blicken hypnotisierten. Mann, ich sah als Vampir richtig gut aus.«
»Das bezweifle ich«, meinte Caxton. Claras Brauen schossen in die Höhe; sie war auf dem besten Weg, beleidigt zu sein. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich wette, Sie sahen großartig aus. Aber nicht, wenn Sie wie ein Vampir aussehen. Zum einen sind sie so kahl wie Billardkugeln. Und diese kleinen spitzen Reißzähne? Glauben Sie mir, die wollen Sie nicht in der Realität sehen.«
Clara schlug mit der Hand auf die Bar. »Vampire sind sexy!«, verkündete sie keck. »Hören Sie auf, meine Schulmädchenphantasien zu ruinieren! Es interessiert mich nicht, ob sie kahl sind. Ich sage, solange wir hier in dieser Bar sind, ist alles an Vampiren sexy. Sehr, sehr sexy.«
Wider Willen musste Caxton lächeln. »Ach ja?«
»Aber klar doch!« Sie streckte die Hand aus und griff nach Caxtons Bizeps. »Und große harte Vampirjäger sind erst recht sexy!« Beide lachten. Es war wunderbar, dieses freundliche Lachen. »Finden Sie nicht, dass sie sexy ist?«, wollte Clara von dem Barmann wissen. Ihre Hand blieb auf Caxtons Arm ruhen, tat nichts, wogegen man hätte Einwände haben können. Clara sah sie nicht einmal an, trank aus ihrer Flasche, aber sie nahm die Hand auch nicht weg.
»Ich würde sie nehmen«, sagte der Barmann und sah zu, wie die Unterwäschemodels mit einem industriellen Fleischwolf Würstchen herstellten.
»Ich bin sofort wieder da«, sagte Caxton und entzog sich Claras Griff, als sie vom Hocker rutschte. Deren Hand bewegte sich zur Bar. Caxton rannte beinahe zur Damentoilette, wo sie sich Wasser ins Gesicht spritzte. Wow, dachte sie. Wow. Die Hand auf ihrem Arm war nicht nur warm gewesen. Sondern heiß, richtig heiß. Ihr war klar, dass das eine Illusion gewesen war. Trotzdem. Wow. So hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie vermisste dieses Gefühl. Sie vermisste es wirklich.
Als sie von der Toilette kam, stand Clara am Münztelefon. Sie lächelte von einem Ohr zum anderen, ihre Augen verrieten aber nichts. Sie wollte gleichzeitig cool und aggressiv sein. Caxton erinnerte sich an diesen Tanz, sie erinnerte sich sogar, die gleichen Manöver durchgeführt zu haben. Als Clara den Blick senkte und nach links trat, als Caxton gleichzeitig nach rechts trat, wusste sie genau, wie es in ihr aussah: die kleinen, bebenden Ängste, die sich hochschaukelten, je länger man sich zurückhielt, die große Hoffnung, die man unterdrückte, damit sie einen nicht überwältigte, die aber dennoch hervorplatzte.
Die Jukebox spielte sogar einen guten Song. Sie konnte sich nicht an den Namen des Sängers oder den Titel erinnern, aber es war ein guter Song.
Sie vermisste dieses Gefühl, die Schmetterlinge im Bauch, die Gänsehaut. Sie vermisste es so sehr, dass sie, als Clara die Hände ausstreckte, direkt an sie herantrat, die Augen
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