Der letzte Vampir
angerufen hätte, statt eine Mail zu schicken, und Deanna an den Apparat gegangen wäre? Aber das war bloß Paranoia. Zum einen hatte sie nichts Schlimmes getan. Sie hatte Clara gestoppt, bevor etwas passiert war. Davon abgesehen war Claras Mail nicht im Mindesten peinlich. Es war eine der professionellsten Nachrichten, die sie je gelesen hatte, und sie enthielt nichts außer dem Bericht des Sheriff’s Department über Bitumen Hollow. Es gab nicht einmal einen freundlichen Gruß.
Tatsächlich war sie sogar etwas enttäuscht. Es war ein Problem, dass Clara sie auf diese Weise angemacht hatte, trotzdem … es war schön gewesen. Sie verbannte den Gedanken und studierte den Bericht. Er war emotionslos und klinisch, und sie versuchte, ihn mit der gleichen Einstellung zu lesen, weigerte sich, den Schrecken der Menschen an sich herankommen zu lassen, die in der Nacht zuvor in dem verschlafenen Nest gestorben waren. Der größte Teil des Berichts basierte auf der Aussage des Augenzeugen, des stellvertretenden Leiters der christlichen Buchhandlung, der sie mit dem großen Kreuz geschlagen hatte. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, hatte er sich als recht guter Beobachter entpuppt. Er war Zeuge gewesen, wie die beiden Vampire die Hauptstraße betreten hatten, beide mit langen schwarzen Mänteln bekleidet, mit hochgeschlagenem Kragen, um den Mund zu verhüllen. Falls sie als Menschen durchgehen wollten, hätten sie sich die Mühe sparen können. In Bitumen Hollow kannte jeder jeden – die Vampire (beide über einen Meter achtzig groß) stachen hervor wie abgerissene Daumen. Opfer Nr. 1 war die Teenagerin gewesen, Helena Saunders. Der eine Vampir hatte sie einfach in die Höhe gestemmt, während der andere ihren Mantelärmel aufriss und in den Arm biss. »Als würde man einen Maiskolben abnagen«, hatte der Zeuge gesagt. Danach wurde es hässlich.
Es hatte keinen Versuch gegeben, das Dorf zu verteidigen. Niemand hatte sich gewehrt, obwohl man unter der Theke des Cafés ein geladenes Jagdgewehr gefunden hatte und die Frau, die die Post leitete (Opfer Nr. 4) eine registrierte Faustfeuerwaffe im Auto aufbewahrte. Als die Polizei eintraf, war es viel zu spät gewesen. Das überraschte Caxton nicht besonders. Ein so kleines Dorf hatte keine eigene Polizeidienststelle und war auf den lokalen Sheriff angewiesen.
Caxton überflog große Teile des Berichts bloß. Insgesamt gab es vierzehn Opfer, und sie musste nun wirklich nicht wissen, wie sie im einzelnen gestorben waren.
Vierzehn. Die beiden Vampire, die Bitumen Hollow angegriffen hatten, waren noch ziemlich neu. Ihr Blutdurst hätte schnell gestillt sein müssen – eigentlich hätte jedem von ihnen ein Opfer reichen müssen. Und doch hatten sie das ganze Dorf entvölkert. Warum? Sie dachte an Piter Lares, der sich bewusst überfressen und mit Blut vollgesogen hatte, damit er seine Ahnen füttern konnte, Justinia Malvern eingeschlossen. Vielleicht hatten die neuen Angreifer (der Bericht listete sie in lupenreiner Amtssprache als Gewalttäter Nr. 1 und Gewalttäter Nr. 2 auf) sich vollsaugen wollen, um Malvern zu füttern; aber nein, sie brauchten vier Vampire, um sie zu regenerieren. Außerdem war sie noch immer hinter den Mauern von Arabella Furnace in Sicherheit.
Soweit Caxton wusste.
Bei dem Gedanken, dass die Vampire das ehemalige Sanatorium angegriffen haben könnten, fuhr ihr ein eiskalter Schauer den Rücken herunter … Konnte es sein, dass Malvern frei war, jetzt, in diesem Augenblick? Aber nein, sicherlich hätte Arkeley dann schon angerufen.
Es sei denn, sie hatten angegriffen und Arkeley dabei getötet.
Sie fütterte schnell die Hunde und eilte ins Haus zurück. Sie wollte nicht wegen einer paranoiden Eingebung unbegründeten Alarm schlagen, aber sie musste es wissen. Im Telefonbuch gab es keinen Eintrag für das Arabella Furnace State Hospital, und die Datenbanken der State Police, auf die sie über das Internet Zugriff hatte, führten es nicht einmal auf. Während sie sich anzog, versuchte sie die Nummer beim Bureau of Prisons, der Strafvollzugsbehörde, zu erfragen, aber man sagte ihr, solche Anfragen müssten über die offiziellen Kanäle erfolgen. Der Mann am anderen Ende der Leitung wollte natürlich nicht einmal zugeben, dass es überhaupt existierte.
»Hören Sie, die Leute dort könnten in Gefahr sein. Ich weiß über diesen Ort Bescheid. Ich war da. Es ist ein Hospital für eine Patientin, und sie ist eine Vampirin. Justinia
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