Der letzte Vorhang
daß so ein kleiner Haufen
Knochen eine erwachsene Person ausmachte.«
»Und gar keine so kleine. Ich denke, sie war
beinah einssiebzig groß und wog um die fünfundfünfzig Kilo.«
»Das können Sie alles feststellen?« Hatte die
Tote diese Jeans geliebt? fragte sich Wetzon. Hatte sie sie steif und neu
gekauft und unter der Dusche an ihren Körper angepaßt?
Nina nickte. »Mit Hilfe der Länge des
Oberschenkelknochens und einer mathematischen Gleichung: ein wenig
Multiplizieren und Addieren, und Sie haben es. Das Gewicht können wir auch
aufgrund der Größe des Gürtels, den wir im Koffer gefunden haben, schätzen.«
»Der Gürtel ist nicht zerfallen?«
»Er war aus Plastik.«
»Sie hatte keinen Ausweis?«
»Nein.«
»Ich dachte, heute könnte man Personen anhand
der Zähne identifizieren.«
»Das Dentoskopieprogramm in Colorado hat nichts ergeben.«
Silvestri reichte die Fotos Nina Wayne, die sie
alle in den braunen Laschenumschlag schob und Silvestri zurückgab. »Das ist Ihr
Satz. Ich habe noch einen dabei.«
Wetzon starrte in ihre fast leere Kaffeetasse.
Keiner sprach, obwohl Nina sich vorbeugte, als wollte sie etwas sagen.
Plötzlich meldete sich Silvestris Piepser. »Bin
gleich wieder da«, sagte er, während er an ihrem Kellner vorbeiging, der mit
zwei Kaffeekannen zum Nachschenken auf sie zukam.
»Noch was zum Aufwärmen?« fragte der Kellner.
»Das wird Ihnen nicht gelingen«, entgegnete
Wetzon. Er lächelte höflich und räusperte sich, weil sich ihre Stimme rauh
anhörte.
»Also?« sagte Nina, als der Kellner fort war.
»Warum liegen die Knochen so auf einem Haufen?
Hat man sie zerstückelt?«
»Nein. Die Verwesung war so stark, daß das
Skelett sich auflöste. Dadurch fielen die Knochen aufeinander.«
»Sie meinen, ich könnte sie gekannt haben.« Es
war eine Feststellung, keine Frage.
»Es besteht eine vage Möglichkeit. Die Welt des
Tanzes ist wohl eine kleine, geschlossene Gesellschaft.«
»Stimmt, aber sie könnte Ballettänzerin gewesen
sein. Dann habe ich sie vielleicht nicht gekannt, es sei denn, sie wäre ein
Star oder ich hätte mit ihr den gleichen Kurs absolviert.«
»Probieren Sie es so: Haben Sie jemand gekannt —
eine Tänzerin — , die vor ungefähr fünfzehn Jahren in der Eleventh Street
gewohnt haben könnte? Eine, die sie seit langem nicht mehr gesehen haben?«
»Eine Menge Tänzer haben im Village gewohnt —
wohnen immer noch dort. Es ist so lange her. Darüber muß ich nachdenken. Ich
kann mich umhören. Können Sie mir Vergrößerungen von den Aufklebern auf dem
Koffer besorgen?«
»Ja.«
Silvestri kam zurück. »Ich habe die Rechnung
bezahlt«, sagte er, setzte sich aber nicht mehr. »Ich muß zurück.«
Wetzon schaute auf die Uhr. Halb drei. »Ich
auch.« Sie stand auf und zog den Mantel an.
»Les? Sehen wir uns noch?«
Sie nickte. Neben ihm stehend war Nina Wayne
größer als Silvestri. Wetzon war nahe daran zu lächeln, als sich ein anderer
Gedanke vordrängte. »Moment«, sagte sie, während sie die beiden abwechselnd
ansah, »ihr habt mir noch gar nicht gesagt, wie sie gestorben ist.«
»Oh.« Nina seufzte.
Silvestri legte den Arm um Wetzon, schob sie
durch das Restaurant und winkte Casey. Auf der Straße kroch der mittägliche
Verkehr vorbei, und die Leute eilten zur Arbeit zurück, die Kragen
hochgeschlagen. Es war beißend kalt an diesem Novembertag. Eingerahmt von den
Türmen der Wall Street schwebte ein Goodyear-Zeppelin lautlos über dem
Finanzdistrikt.
Ein Lastwagen hatte eine Fehlzündung, und für
einen Moment erstarrte Silvestri. Er hatte den Arm nicht von Wetzons Schulter
genommen. Nina, die einen langen weinroten Woll-mantel trug, der ihre Größe
noch unterstrich, schloß sich ihnen an.
»Kann ich jemand unterwegs absetzen?« fragte
Wetzon. »Ich fahre die East 49. entlang.«
Silvestri schüttelte den Kopf.
»Ich unterrichte am John Jay«, sagte Nina, »aber
für mich ist es bequemer, wenn ich einfach in die U-Bahn steige.«
»Wie ist sie gestorben, Leute?«
Silvestri winkte einem Taxi und hielt ihr die
Tür auf. »Sie wurde erschossen, Les. Irgend jemand jagte ihr eine Kugel in den
Kopf.«
MEMORANDUM
An: Nancy Stein, Assistentin von Mort Hornberg
Von: Lou Zucker, geschäftsführende Leiterin,
Richard Rogers Theatre
Datum: 15. November 1994
Betr.: Combinations in concert
Kopien: Carlos Prince und Leslie Wetzon
Als Sie uns das Budget gaben, vergaßen Sie, die
Pförtner aufzuführen. Die Dachorganisation verlangt
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