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Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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kam.
    Ihre Partnerin warf ihr einen bösen Blick unter
kakaofarbenen Lidern zu und wedelte mit einem Fünfzig-Dollar-Schein, der
aussah, als wäre er gerade gedruckt worden, in Richtung des Chauffeurs. »Der
gehört Ihnen, wenn Sie uns in fünfzehn Minuten zum Rosenkind Luwisher Tower
gegenüber dem World Trade Center bringen.«
    »Um Himmels willen, Smith, in welchem Jahr leben
wir? Niemand tut das mehr. Du beleidigst den Mann. Er könnte seine Zulassung
verlieren.«
    »Ah, Lady«, schnurrte der Chauffeur, der Smith
im Rückspiegel beobachtete, »Sie sprechen meine Sprache.«
    Unter halbgeschlossenen Lidern glänzten Smith’
Augen. Ihr selbstgefälliges Lächeln sagte alles.
    »Bitte ohne uns umzubringen«, fügte Wetzon
hinzu, während das Auto nach Osten zum East River Drive raste. Sie spürte, wie
ihre Stimmung sank.
    Schon ein leichter Sprühregen sorgte in New York
für Staus. Der Verkehr geriet ins Stocken, sobald die Straßen naß wurden.
Keiner wußte, warum. Niemand fuhr jemals langsamer, doch bei regnerischem
Wetter gingen nicht so viele zu Fuß. Vielleicht benutzten mehr Leute Taxis und
Mietwagendienste, wodurch eine größere Anzahl Autos als sonst die Straßen
verstopften. Was auch immer der Grund sein mochte, der Chauffeur bekam sein
Fünfzig-Dollar-Trinkgeld nicht, und Smith und Wetzon kamen zu spät.
    Der Rosenkind Luwisher Tower erhob sich
achtundsechzig Stockwerke hoch, von denen die Maklerfirma jetzt die oberen
zwölf einnahm. Einst hatte die Firma den Luwisher Brothers allein gehört, aber
Luwisher Brothers hatten die Flut der Fusionen und Aufkäufe nach dem Crash von
1987 nicht überlebt und einen schnellen Kapitalzufluß benötigt. Rosenkind
Partners, eine Gruppe von risikofreudigen Aufkäufern, hatten das Kapital
beschafft und die Firma übernommen.
    »Du trödelst!« rief Smith. »Da kommt der Aufzug
— schnell.«
    »Trödeln? Verdammt. Smith. Warum sind wir so
spät dran? Das nächstemal nehme ich die U-Bahn, und dann werden wir sehen, wer
schneller ist.«
    Der Aufzug war mit gestepptem braunem Leder
verkleidet und programmiert, direkt zum sechsundfünfzigsten Stock zu fahren.
Als sie einstiegen, kam die Ansage: »Guten Morgen. Dieser Aufzug fährt nur zu
Rosenkind Luwisher Brothers. Bitte wählen Sie die Etage.«
    »Wie üblich?« fragte Wetzon.
    Smith legte ihren behandschuhten Finger auf das
glänzende Messingquadrat mit der 67. »Der Speiseraum der Leitenden«, sagte sie,
als antwortete sie der Computerstimme. Der Aufzug stieg weich wie ein
Heliumballon in die Höhe.
    Als sie ausstiegen, fielen Wetzon kaum
Veränderungen auf. Doch, ja, vielleicht die Farbe des Teppichs, der jetzt blaß
olivgrün war, und die Wände in gebrochenem Weiß mit oliv-farbenem Schimmer. Die
mehrdeutigen Gemälde von Georgia O’Keeffe waren verschwunden. An ihrer Stelle
hingen die verzerrten Visionen Francis Bacons, eines Künstlers, den Mike
Rosenkind sammelte. Rosenkind liebte die Hinweise auf seine Tätigkeit als
Kunstsammler und hatte es gern, wenn in Forbes und Fortune Artikel über die Firma erschienen.
    Der siebenundsechzigste Stock war integriert mit
dem achtundsechzigsten, über dem ein Oberlicht ein Gefühl von Ewigkeit
projizierte, genau das Richtige für eine Maklerfirma. Vielleicht war Calvin
Klein vorbeigekommen, um ein Geschäft abzuschließen, und hatte sich inspirieren
lassen.
    Wo einmal ein richtiger, in Hydrokultur
gezogener Baum durch die zwei Stockwerke bis zum Oberlicht gereicht hatte,
stand jetzt die gigantische Boteroskulptur eines dicklichen Mannes, in
Rückansicht nackt auf einer Leiter, von dem berühmten Kunstsammler Mike
Rosenkind in Auftrag gegeben. Die geschwungene Marmortreppe, auf der Wetzon
vier Jahre zuvor Carlton Ashs Leiche gefunden hatte, war unverändert.
    Unter dem Oberlicht im achtundsechzigsten Stock
verfügte der Speiseraum der Leitenden auf drei Seiten über Fenster, von denen
aus man das untere Manhattan und den Finanzdistrikt überblickte. Trotz des
starken Nieselregens ragte die Freiheitsstatue mit ihrer leuchtenden Fackel
über dem Nebel.
    Die Tische waren mit weißem Leinen gedeckt, und
die gedämpfte und gediegene Atmosphäre erinnerte angenehm an den alten Süden;
die Kellner rekrutierten sich aus älteren Schwarzen in dunklen Anzügen und
weißen Hemden, was jeden in der realen Welt daran erinnerte, daß die Wall
Street dank ihres habsüchtigen Herzens durchweg in einer Zeitnische verharrte.
    »Hier lang, bitte.« Die Assistentin des
leitenden Direktors Neil

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