Der letzte Vorhang
Dann wurden sie alle vom Beruf und anderen Shows in Anspruch
genommen und verloren sich aus den Augen. Wetzon nahm die Kachel und die Fotos
und rollte sich auf dem Sofa zusammen.
Sie starrte auf die Fotografien des Schädels und
der Knochen im Schrankkoffer. Wie konnte dies passiert sein? Aber Moment mal,
vielleicht war es gar nicht Terri, und sie zog voreilig falsche Schlüsse. Dann
klang ihr Terris heisere Stimme im Ohr. Hat mich denn keiner vermißt?
In einem Beruf, wo die Karriere vor
Lebensgefährten, Freunden und Kindern kam? Das war nicht sehr wahrscheinlich.
Terri hatte allen aus heiterem Himmel
mitgeteilt, daß sie nach Cincinnati zurückkehren wollte, um eine Tanzschule zu
eröffnen. Und dort war sie vermutlich in ebendiesem Augenblick. Wetzon wischte
sich die Tränen vom Gesicht, doch die Angst und das Schuldgefühl konnte sie
nicht auslöschen.
So tief in sich gekehrt war sie, daß sie das klick,
klick, klick auf dem Holzboden nicht hörte und erschrak, als plötzlich Izz,
die weiße Pelzkugel, auf ihrem Schoß saß und freudig ihr Gesicht leckte. Die
Kachel flog ihr aus der Hand und schlug mit einem Knall, der wie ein
Gewehrschuß klang, auf dem Boden auf. Im Zeitlupentempo, sich wie eine Blume
öffnend, begann die Kachel zu splittern, von der Mitte nach außen, bis die
Oberfläche ein dichtes Netz aus spinnwebartigen Linien war.
»Was zum Kuckuck war das?« fragte Silvestri. Er
stand dort, wo der Flur ins Wohnzimmer mündete. »Es ist drei Uhr, und du
bist...«
Sie sah ihn an in seinen Boxershorts, barfuß,
mit zu Berge stehenden Haaren, und ein Lachanfall schnürte ihr die Kehle zu.
Dann, ohne Vorwarnung, kamen wieder die Tränen.
»Les?« Er saß neben ihr, hielt sie fest. »Willst
du mir nicht sagen, was los ist?«
Sie lehnte sich an ihn; der Drang zu lachen war
ihr vergangen, und sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals so trostlos
gefühlt zu haben. Izz sprang vom Sofa und schnupperte an der zersprungenen
Kachel auf dem Boden, während sie sie umkreiste.
»Das hat dich aufgeweckt«, sagte sie. »Izz hat
sie mir aus der Hand gestoßen.«
»Hattest du wieder diesen Traum?« fragte
Silvestri, ohne auf die Kachel einzugehen.
»Nein.« Zwei Jahre waren vergangen, seitdem sie
angeschossen worden war und danach an einem posttraumatischen Streßsyndrom
gelitten hatte. Mit Hilfe einer Therapie durchlebte sie den Moment kaum noch in
ihren Träumen. »Ich konnte nicht schlafen. Ich dachte an das Mädchen im
Koffer.«
Silvestris Blick fiel auf die offene Aktentasche
auf dem Boden. »Es ist meine Schuld. Ich hätte dich da nie hineinziehen sollen.
Komm mit ins Bett.« Er zog sie hoch, aber sie schüttelte ihn ab und bückte
sich, um die Kachel zu betrachten.
Die ganze Oberfläche war von Sprüngen
durchzogen, aber als sie mit einem Finger daranstieß, fiel sie nicht
auseinander.
»Sieh dir das an, Silvestri, und dann das
Tatortfoto mit den aufgereihten Gegenständen aus dem Koffer.« Sie seufzte und
ging in die Küche, nahm einen Metallspatel aus einer Schublade und kam zurück.
Silvestri kauerte auf dem Boden und betrachtete die Kachel. Sie sagte: »Du
hattest recht, mich in die Sache hineinzuziehen.« Vorsichtig schob sie den
Spatel unter die Kachel und hob sie an, wobei sie den überstehenden Teil mit
der Handfläche stützte.
Silvestri kramte in seiner Aktentasche und zog
eines der frisch gewaschenen Hemden heraus. Dann entfernte er die Papphülle und
ließ das Hemd wieder in die Tasche fallen. »Leg sie darauf, Les.«
Wetzon schob die Kachel auf die Pappe und legte
sie auf den Eßzimmertisch, dann holte sie ihr Vergrößerungsglas und das Foto.
»Laß sehen«, sagte Silvestri.
»Das ist der Grund, warum du recht hattest, mich
in das hier hineinzuziehen. Davey Lewin hat jedem von uns eine Kachel mit dem
Logo der Show und einer Widmung geschenkt. Ich bezweifle, daß irgend jemand das
entdeckt hätte, Silvestri, außer einem aus der ursprünglichen Truppe von Combinations .«
»Was hat das mit Combinations zu tun?« Er
betrachtete die Fotografie durch das Vergrößerungsglas. Gleich würde er entdecken,
was sie gesehen hatte.
»Sieh dir das an und jetzt meine Kachel.« Sie
beobachtete ihn; er bemerkte sofort, was sie meinte.
Das Vergrößerungsglas blieb auf der Fotografie
liegen. Er legte seine Hände auf ihre Schultern, ihren Rücken und streichelte
sie. Sie ließ sich von ihm zum Bett führen.
Nach einer Weile sagte sie: »Wir haben sie für
die konzertante Aufführung gesucht.
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