Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
Vom Netzwerk:
Dezember in der Hand habe.
Wir rechnen mit einem großen Andrang, so daß die Theaterkasse sehr schnell
ausverkauft sein wird.
     
     

27.
Kapitel
     
    Von außen wies das Gebäude des 20. Reviers nichts
Charakteristisches auf. Es hätte genausogut eine Schule sein können, wären da
nicht überall die vielen blauweißen Streifenwagen der New Yorker Polizei
gewesen, ganz zu schweigen von den anderen Autos, die von einer Ecke zur
anderen in der 82. Straße und an der Columbus und Amsterdam parkten.
    Innen war alles fast bis zur Selbstverleugnung
schmucklos.
    Widerstrebend blätterte Wetzon Seite auf Seite
mit Porträtfotos um. Ihr sechster Sinn sagte ihr, daß sie den Mann, der sie
bedroht hatte, hier nicht finden würde. »Silvestri, das ist Zeitverschwendung,
glaub mir«, sagte sie halbherzig, wobei sie sich anstrengte, nicht weinerlich
zu klingen. Was war es bloß, was ihr an dem Mann bekannt vorgekommen war? Warum
konnte sie nicht draufkommen?
    »Schau dir einfach alle an, Les.« Er versuchte
erst gar nicht, seine Gereiztheit zu verbergen, als ob es ihre Schuld wäre. Und
sie — die ihm immer noch nicht verziehen hatte, daß er sie von seinem
Thanksgiving-Vergnügen ausschloß — geriet allmählich ebenfalls in Wut.
    Detective Lisa Seidman, in einem praktischen
anthrazitfarbenen Kostüm und rosagestreiften Hemd mit offenem Kragen, stellte
einen Pappbecher mit schwarzem Schlamm auf den Tisch rechts von Wetzon. »Das
ist der beste, den wir liefern können, fürchte ich. Koffein zum Schneiden.«
Lisa war größer als Wetzon und hatte die breiten Schultern und schmalen Hüften
einer Schwimmerin. Ihr dichtes schwarzes Haar berührte den Kragen.
    Silvestri zog einen Stuhl näher und setzte sich
Wetzon gegenüber. »Sie brauchen ihre Aussage, um die Sache zu beweisen«, teilte
er Seidman mit, indem er die Diskussion fortsetzte, die er mit ihr begonnen
hatte, als sie vor fast einer Stunde im Reviergebäude angekommen waren.
    »Wenn sie so wichtig ist, warum hat man dann
niemand zu ihrem Schutz abgestellt?« fragte Seidman.
    Wetzon blickte von der Masse der Gesichter auf,
schwarze, weiße, hispanische, die alle irgendwie den Menschen ähnelten, die sie
Tag für Tag auf der Straße sah. Wenn man zweimal täglich, ins Büro und zurück,
mit der U-Bahn fuhr und mit mindestens hundert Gesichtern in jeder Richtung —
sehr verschiedenen Gesichtern zumal — bombardiert wurde, war man überlastet.
Wie sollte man sich da an ein bestimmtes erinnern?
    Silvestri und Seidman redeten über sie, als wäre
sie nicht vorhanden oder — schlimmer noch — als wäre sie taub und stumm. Sie
warf ein: »Ich habe Marissa Peiser gesagt, es würde nichts nutzen. Sie würden
mich doch erwischen, wenn sie wollten.«
    Silvestri schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Warum, verdammt noch mal, hast du mir nichts davon gesagt?«
    Wetzon ignorierte ihn. Sie hörte zu, wie zwei
Detectives mit einer Frau sprachen, deren Auto mutwillig beschädigt worden war.
»Gibt es jemand, der wütend auf Sie ist, Ma’am?« fragte der eine.
    »Weil es so leicht ist, mit dir zu reden, Silvestri«,
erklärte Wetzon liebenswürdig. Fünf Alben warteten noch darauf, von ihr
durchgesehen zu werden. Sie schlug das vor ihr liegende geräuschvoll zu. »Er
ist nicht drin, und ich bin müde. Ich möchte nach Hause gehen.« Ein
Adrenalinstoß hatte sie anfangs aufgeputscht, aber jetzt war er abgeflaut; sie
wollte nichts sehnlicher als schlafen. Sie stand auf und griff nach ihrem
Mantel, der über einer Stuhllehne lag. Gibt es jemand, der wütend auf Sie
ist, Ma’am? sagte sie zu sich. Und antwortete: Das übliche Sortiment
vermutlich.
    »Les, verdammt noch mal, setz dich hin. Bringen
wir es hinter uns.« Silvestri war so wütend, daß sein Gesicht rot anlief. Was
zum Henker hatte er für einen Grund, wütend zu sein? Schließlich versetzte er sie zu Thanksgiving.
    »Es wäre besser, Ms. Wetzon, alle Alben jetzt
durchzusehen«, bemerkte Lisa Seidman, »so lang Ihre Erinnerung noch frisch
ist.« Ihr Gesicht war unbewegt.
    »Okay, Sie haben wohl recht«, sagte Wetzon.
»Besonders weil Sie es nett sagen.« Sie bedachte Silvestri wegen seines
Benehmens mit einem haßerfüllten Blick, setzte sich hin, schlug das Buch wieder
auf und blätterte die Seiten um, bis sie zu der Stelle kam, wo sie aufgehört
hatte. Silvestri verließ das Zimmer. Falls er nicht zurückkäme, würde es ihr
nichts ausmachen. Sie wollte bloß schlafen.
    Ein adlernasiges, bärtiges Zerrbild von Gesicht,
mit

Weitere Kostenlose Bücher