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Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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einer Augenklappe, dicht behaart in der unteren Gesichtshälfte, fesselte
ihre Aufmerksamkeit. Riccardo Durban, alias Dead Eye Rick. Reiß dich zusammen,
Rick, dachte sie und fuhr fort, die Seiten umzublättern und die Gesichter zu
mustern. Sie sagten ihr nichts. Endlich schlug sie das letzte Album zu. »Tut
mir leid, aber vielen Dank.«
    Silvestri war nicht zurückgekommen, also
schüttelte sie Detective Seidman die Hand. »Sie werden ihn wohl nicht finden,
oder?«
    »Es ist unwahrscheinlich. Aber wenn Sie ihn noch
einmal sehen, rufen Sie mich an. Und an Ihrer Stelle würde ich es mir noch
einmal überlegen, das Angebot des Personenschutzes anzunehmen.«
    »Danke«, wiederholte Wetzon, während sie in den
Mantel schlüpfte. Sie steckte Detective Seidmans Karte in die Tasche.
    Unten sprach Silvestri mit dem diensthabenden
Polizisten. Sie hoben die Köpfe, als sie kam, hörten auf zu reden und schauten
sie erwartungsvoll an.
    »Ich habe ihn nicht gefunden«, sagte sie, ging
weiter und einfach zur Tür hinaus.
    Die Luft duftete nach Tannennadeln und
gebrannten Mandeln; ein Straßenverkäufer auf der Columbus bot sie an.
    Sie gingen nebeneinander her, ohne sich zu berühren,
wichen auseinander, um entgegenkommende Leute durchzulassen. Sie warf einen
Blick auf Silvestris starres Gesicht, das im ungleichmäßigen Schein der
Straßenlampen noch härter wirkte. »Warum bist du so wütend auf mich?«
    Nach einer langen Pause, während der sie dachte,
er würde überhaupt nicht antworten, bemerkte er steif: »Wer sagt, daß ich
wütend bin?«
    »Vergiß es«, entgegnete sie. »Gedankenaustausch
ist nicht deine starke Seite.«
    Den Rest des Wegs legten sie schweigend zurück.
Vor ihrem Haus murmelte er: »Es ist spät, also...«
    »Ach ja, wirklich?« Sie schritt durch die Tür,
die Mario ihr aufhielt, ohne sich umzudrehen, und betrat den wartenden Aufzug.
Was für einen Sinn hatte es, jemanden zu lieben, der einem so weh tun konnte?
    Sie schloß die Tür auf, bückte sich, um Izz
hochzuheben, und vergrub ihr Gesicht in dem weichen Fell. Vorbehaltlose Liebe.
Das war das Beste.
    Nachdem sie ihre Kleider auf einen Stuhl
geworfen hatte, reinigte sie ihr Gesicht gründlich vom Make-up. Bewußt machte
sie sich nicht die Mühe, den Anrufbeantworter zu kontrollieren; sie wollte mit
niemandem mehr reden.
    Während sie eines von Silvestris T-Shirts anzog,
fiel ihr ein, daß in ihrem Küchenschrank ein großer Brocken dunkler Schokolade
von Li-Lac im Village versteckt war. Sie hatte sie für einen besonderen Anlaß
aufgehoben. Der war jetzt gegeben.
    Sie setzte sich auf den Küchenhocker, nahm die
Schokolade aus dem Tütchen und legte sie auf das Hackbrett, um sie in der Mitte
durchzuschneiden, überlegte es sich dann aber anders. Sie verdiente unbedingt
das ganze Stück.
    Es war vorbei. Mit ihr und Silvestri. Irgendwie
wußte sie es. Bullen. Warum hatte sie sich mit jemandem wie Silvestri
eingelassen und daran festgehalten? Es war masochistisch — oder war es
selbstzerstörerisch? Wie auch immer. Sie fand es schlimm, was er ihr antat. Da
fuhr sie ihren innig geliebten Carlos an, beschimpfte Smith. Ach, verdammt,
Smith verdiente eine Beschimpfung — falls dies das passende Wort war. Sie
seufzte. Die Schokolade schmolz in ihrem Mund, und sie spürte die besänftigende
Wirkung. Bullen, dachte sie. Bullen...
    Ein halber Gedanke ging ihr durch den Kopf. Sie
schob ihn fort. Sie war sehr müde. Wenn man müde war, stellte man lächerliche
Zusammenhänge her. Sie legte den Kopf auf die Theke und döste. Der Gedanke
kehrte zurück und pulsierte hinter ihrer Stirn.
    Izz kam schwanzwedelnd aus dem Schlafzimmer in
den Flur gerast. Als sich der Schlüssel im Schloß drehte, setzte Wetzon sich
auf.
    Silvestri betrat die Wohnung und schloß die Tür.
Er tätschelte den Hund, der sich vor ihm wälzte, und sah zu ihr hinüber.
»Hallo«, sagte er.
    »Hallo.« Wie eine Schlafwandlerin stand sie vom
Hocker auf und ging zu ihm. Er breitete die Arme aus, und sie lief direkt
hinein.
    »Verdammt, Les.« Sein kalter Atem kitzelte sie
am Ohr. »Ich liebe dich so sehr, daß du mich verrückt machst.«
    »Verdammt, Silvestri«, erwiderte sie. »Mir geht
es genauso.«
    Er küßte sie. »Du schmeckst nach Schokolade.«
    »Ich habe sie aufgegessen. Es ist nichts mehr
übrig.«
    »Zu schade.« Er zog das Jackett aus und hängte
es an den Türknauf.
    »Warum passiert so was? Warum sprichst du nicht
mit mir?« Sie sah ihm zu, wie er das Schulterhalfter abnahm und

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