Der letzte Werwolf
meinen menschlichen Bevollmächtigten gehabt, als gut gewesen wäre. Vielleicht, so sagte ich mir, hatte ich tatsächlich den Kopf zu voll mit nervigen Kosten-Nutzen-Analysen gehabt, um einen Verfolger zu bemerken, selbst diesen Stümper mit der Magnum. Deren Kugeln waren, so hatte Harley ebenfalls herausgefunden, aus reinem mexikanischem Silber. Wer immer auch Cloquet war, er wusste um die Natur seiner Beute.
»Natürlich dürfen wir uns eine Weile nicht mehr sehen«, bedauerte Harley.
»Welche Weile? In siebenundzwanzig Tagen werde ich tot sein.«
Stille an seinem Ende der Leitung. Schuldgefühle an meinem Ende.
»Vertraust du mir nicht mehr, Jake?«
»Tut mir leid. Vergiss es.«
»Ist ja nicht deine Schuld. Eine traurige alte Schwuchtel mit Bluthochdruck und wundem Hintern. Wir hätten dir längst jemand Jüngeren suchen müssen. Wir hätten dir jemanden suchen müssen, der –«
»Vergiss es, Harls, bitte.« Wieder Stille. Vielleicht weinte Harley sogar. Seit der Prostata-Operation neigte er zu emotionalen Einbrüchen. Die Wahrheit ist, wir hätten tatsächlich jemand anderen suchen müssen, vielleicht auch niemanden, denn seit einem Jahrhundert oder länger habe ich eigentlich keinen menschlichen Vertrauten mehr gebraucht. Die
eigentliche
Wahrheit ist, ich hätte Harley überhaupt nicht mit reinziehen dürfen, aber in der Nacht, seit der er in meiner Schuld steht, hatte ich gerade in einer Phase tiefster Einsamkeit gesteckt. Jetzt hörte ich ihn einmal kurz schniefen und dann einen großen Schluck trinken, und ich dachte: meine Schuld. Jede neue Gefahr entspringt einer alten Schwäche. Genug.
So mag er fallen
. »Hör nicht hin«, besänftigte ich ihn. »Ich bin nur stinkig wegen dieser Marionette, die mir da gefolgt ist.«
Harley räusperte sich. Manchmal bricht es mir das Herz, wenn er dieses Geräusch macht oder wenn ich ihn sehe, wie er sich mit einem Gurkenglas abmüht oder die Taschen nach der Brille abklopft, die ihm auf der Stirn sitzt. Aber was ist schon ein gebrochenes Herz? Ein Gefühl. Ich habe genug von Gefühlen, auch wenn die noch nicht genug von mir haben. »Tja«, meinte Harley, »hat ja keinen Sinn, heute Nacht das Zetter zu verlassen. Die wissen schon, dass du dort bist. Warum rufst du mich nicht morgen an, wenn du dich wieder zu Verstand gevögelt hast?«
»Ja, warum eigentlich nicht?«
Wieder eine Pause. Es gibt solche Augenblicke der Stille, in denen ich spüre, wie er sich müht, das Wort ›Liebe‹ nicht auszusprechen.
»Wer ist es denn heute Nacht?«, fragte er. »Doch nicht die mit der Plastikmöse?«
»Das ist Katia«, antwortete ich. »Heute ist Madeline dran. Kein Plastik. Alles echt.«
6 .
Ein Vampir schrieb einmal: »Die deutlichen Asymmetrien zwischen Unsterblichen und Werwölfen (mal abgesehen von der offenkundigen ästhetischen Asymmetrie) bestehen in der Tatsache, dass der Vampir durch die Verwandlung erhöht, der Werwolf aber erniedrigt wird. Vampir zu sein heißt, an Subtilität des Verstands und Verfeinerung des Geschmacks zu gewinnen; das Ego öffnet die Tür seiner kargen Ein-Zimmer-Wohnung und findet sich in einem Haus mit vielen Zimmern wieder. Die Persönlichkeit dehnt sich unbegrenzt weit aus. Der Vampir erlangt Unsterblichkeit, immense körperliche Kraft, hypnotische Fähigkeiten, die Fähigkeit zu fliegen, psychische Erhabenheit und emotionale Tiefe. Der Werwolf leidet an Dyslexie und einer permanenten Erektion. Es lohnt sich kaum, irgendwelche Vergleiche anzustellen …« Mit anderen Worten:
Werwölfe haben Sex, wir nicht.
Ich bin zwar kein Frauenfeind, aber ich schlafe nur mit Frauen, die ich nicht mag. Emotional gibt es dazu keine Alternative, aber es ist schwer. Nicht weil Abscheu vielleicht dem Verlangen abträglich wäre (ganz im Gegenteil, wir Modernen wissen: Das stört uns überhaupt nicht), sondern weil meine Abscheu selten lange anhält, vor allem bei Prostituierten, von denen sich die meisten ungeheuer anstrengen, um zu gefallen. Sehr, sehr viele der großstädtischen Escortdamen sind geradezu ruinös liebenswert. Letztes Jahr orderte ich eine neunundzwanzigjährige Argentinierin namens Victoria, deren Seele schon vom ersten Augenblick unserer Begegnung an in ihrer eigenen okkulten Sprache zu meiner sprach. Ich hatte über einen Zeitraum von sechs Stunden hinweg ( 3600 Pfund) oralen, vaginalen und analen Verkehr mit ihr (in der Reihenfolge, ich wiederhole, ich bin kein Frauenfeind), dann gingen wir am Borough Market shoppen und
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