Der letzte Werwolf
Während des Fluchs suchst du verzweifelt nach Sex mit einer Werwölfin (aber nur, wenn man straight ist; es gibt natürlich auch homosexuelle Werwölfe – man zögert, von ›Queerwolf‹ zu sprechen), nach dem Fluch ist die normale Libido auf hundertachtzig wegen der Enttäuschung, keinen Sex mit einer Werwölfin gehabt zu haben. Das ist ein Zahlenproblem. Die Ansteckungsrate bei Frauen ist stets sehr gering gewesen, nach Schätzungen der WOKOP hat es nur eine Frau auf tausend Männer getroffen. Wie Sie sich also denken können, laufen wir uns nicht andauernd über den Weg. Ich jedenfalls bin nie einer begegnet. In
Buffy
gäbe es dafür eine Single-Bar für Werwölfe oder eine Dating-Agentur. In der Wirklichkeit nicht. Auch das Internet ist da keine Hilfe: WOKOP hat derart viele Fallen aufgestellt (am berüchtigsten wohl werewolffuckfest.com, mit dessen Hilfe sie in einem Monat Mitte der Neunziger fast hundert Kreaturen erledigten – alles männliche Exemplare; keine der Werwölfinnen biss an, wenn es denn überhaupt noch welche gibt), dass niemand das Risiko eingehen will. Sehr lange hielt sich die romantische Erklärung, warum sich Frauen nur selten infizierten: Der Besitz einer Gebärmutter, so nahm man an, verleihe ihnen eine Sanftheit, die die Grausamkeit eines lykanthropischen Herzens nicht ertragen könne. Weibliche Werwölfe, so behauptete die maskuline Idiotie, brächten sich in grassierenden Zahlen selbst um. Beim ersten Vollmond würden sie sich verwandeln, einen geliebten Menschen verschlingen, nicht in der Lage sein, mit dieser Schuld zu leben, sich irgendwo verstecken und einen silbernen Ohrring verschlucken. Erstaunlich, wie lange sich dieser Irrglaube vom sanfteren Geschlecht trotz der zahlreichen historischen Beweise des Gegenteils hielt; das 20 . Jahrhundert (Jahre, bevor Myra Hindley und die jungen Frauen von Abu Ghraib sich zu Wort meldeten) räumte damit auf. Heute wissen wir: Wenn Frauen sich nicht den Werwolfvirus einfangen, dann sicherlich nicht, weil bei ihnen alles Gold ist, was glänzt. Aus unerfindlichen Gründen hat es nie genug Werwölfinnen gegeben. Eine der großen sexuellen Tragödien des Universums. Zugleich auch eine der großen sexuellen Farcen, denn nichts von dieser aufgebauschten Lüsternheit dient evolutionären Zwecken. Werwölfe vermehren sich nicht auf sexuellem Wege. Die Weibchen sind eierlos, die Männchen samenlos. Falls Sie keine Kinder hatten, bevor der Fluch über Sie kam, dann werden Sie auch niemals welche haben, daran sollten Sie sich lieber gewöhnen. Lykanthropische Vermehrung erfolgt über Infektion: Überleben Sie den Biss, haben Sie den Fluch.
Allerdings gibt es da einen Punkt, aber das sind keine Neuigkeiten, das ist kalter Kaffee: Heutzutage überlebt
niemand
den Biss.
WOKOP zufolge seit mindestens hundert Jahren nicht mehr. Angefallene sterben innerhalb von zwölf Stunden. Es ist ein Rätsel. Ich wurde 1842 zum Werwolf; gut möglich, dass ich der Letzte bin, der verwandelt wurde. WOKOP , der es fast schwindlig wurde vor wissenschaftlicher Ungläubigkeit, hat Werwölfe gefangen und ihnen Opfer
zugeführt
– ohne eine einzige erfolgreiche Infektion. In den letzten hundert Jahren befindet sich die Spezies auf der Überholspur in die Ausrottung, ob nun mit oder ohne WOKOP s Vernichtungseifer. 1851 , im Jahr der Londoner Industrieausstellung, gab es noch knapp dreitausend Werwölfe. Als Königin Victoria starb, weniger als zweieinhalbtausend. Und zum Zeitpunkt der ersten Mondlandung standen noch 793 Namen auf der Liste. Innerhalb der WOKOP ist die Jagdgesellschaft zu einem Witz verkommen, die Jungs, die ihre Arbeit so gut machten, dass sie bald keine Arbeit mehr haben. Jahr um Jahr wird ihnen das Budget gekürzt. Ein Schleier der Melancholie hat sich gesenkt. Du wirst Grainers Schwanengesang werden, hatte Harley gesagt. Sein spätes Meisterwerk.
Als ich die Dusche abstellte, war ich ganz heiß vom Wasser und dem spürbaren Puls von Madelines wartendem Körper. Ein harter, schneller Fick,
allegro
, um den ersten Drang abzubauen und mich zu beruhigen, dann der zweite, dritte und vierte Satz,
adagio
,
ritardando
,
grave
. Akutes Verlangen und akute Langeweile in einem Glas. Was ich da tue, verrichte ich in der glasigen Verzweiflung der total Überfetteten, die sich rhythmisch durch Tonnen von Schokolade und Brathähnchen mampfen. Eines der Dinge, warum ich weitergemacht habe, war der erhoffte Tod meiner Libido. Warum auch nicht, an allem anderen habe ich
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