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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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gefleckt. »Wenn ich mit dir einschlafe«, sagte sie, »dann ist das, als würde ich
in
dir schlafen.« Ich glitt wieder in meinen eigenen Körper zurück. Er war nicht Mann, nicht Wolf. Glockenblumen wurden unter einem Fortsatz zertrampelt, der nicht Fuß noch Pfote war, sondern ein ledriges Zwischending. Ein Juwelenauge strahlte vom steten Glanz der Menschenleben, die er gerissen hatte. Die allerreichste Nahrung, sagte sein Blick, ähnlich wie Liebe. Ähnlich wie Liebe. Wirst schon sehen. Wirst sehen.
    Der Mond ging auf.
    Alles Blut zerrte nach oben, drängte sich hart gegen die Schädeldecke, ein unmöglicher Zustand, ein Luftanhalten vor der brutalen Umverteilung. In jenen Augenblicken der quälenden Halbfreiheit von meinem Leib sah ich, wie sich mein Mund öffnete, wie die Finger arbeiteten. Ich riss mich los, zerrte, wurde wieder zurückgeholt. Dies war ein neues, eindeutiges, dunkles Sakrament, gradheraus, selbstsicher. Es gab leisen Widerstand – ich stellte mir vor, wie ich meinen Kopf gegen den steinernen Längspfosten schlug –, doch dieses Andere fegte alles beiseite. Das Andere. Und
wie
anders. Ein Bruder, ein großer Zwilling aus der Zeit vor der Geburt, mit dem Wunsch schnellstmöglicher Umwandlung. Er kam mit nicht verhandelbaren Forderungen zu mir – nur verhandelbar in ihrem möglichen Umfang: Jetzt genug hieß noch lange nicht später genug. Meine Schultern veränderten sich, lernten nur unter Schwierigkeiten das merkwürdige Spiel der Osteomorphose, erduldeten die übereilte Tektonik, das Gefühl, zu Eis zu werden, das schockierende Auftauen, das zu einer neuen Grammatik der Bewegungen führte. Schultern, Handgelenke, Knöchel – sie veränderten sich zuerst und verwandelten sich stets als Letzte zurück. Ich drehte mich auf die Seite, war wie ein Fabelwesen zu groß für das Bett, denn alles an mir wuchs. Die Nicht-mehr-Fingernägel und Noch-nicht-Krallen hatten das mit Intarsien verzierte Rosenholz verkratzt. Ich ließ mich zu Boden fallen, war ganz verwirrt von der eindringenden Nachtsymphonie der Düfte, von den geschlossenen Rosenblüten im Garten bis zum satten Dung auf den Feldern. Im Süden raschelte und rauschte ein Weizenfeld. Unsichtbare Riesenhände packten mich im Nacken und verdrehten mich in entgegengesetzte Richtungen, das Nadelkissen des Schulhofrüpels in Großbuchstaben, aber notwendig, um die zauberische Verwandlung meines Kopfs in die deutlich raubtierhafteren Züge zu ermöglichen. Mein wölfischer Zwilling war ungeduldig. Ein Wesen ist nichts ohne einen Körper. Die langsame Umwandlung der Hinterläufe stellten seine Geduld und meine Schmerztoleranz auf die Probe. Mein neuer Schädel erschauderte, meine Gedärme entledigten sich eines siedendheißen Haufens. Noch immer waren wir zwei, doch wir beobachteten uns gegenseitig, wussten, dass alles davon abhing, die Kluft zu überwinden. Die Kooperation würde schon kommen, die beiden Stränge sich verknäulen, so dass wir beide zum
Ich
wurden, doch es war sein Geburtsrecht, den Antrittsaugenblick mit Macht zu bestimmen.
Tu, was ich dir sage. Du wirst tun, was ich
– viele seiner frühen Äußerungen wurden von der unausgesprochenen Dringlichkeit animalischen Verlangens abgeschnitten. Das Verlangen war wie eine Guillotine. Ich wusste, um was es ging. Es gab keine Chance, das nicht zu wissen. Nirgendwo ließ sich der Gedanke verbergen, dass ich niemals … unter gar keinen –
    Auch meine Äußerungen wurden abgehackt.
    Einen Augenblick lang hockte ich auf neuen, langen, pelzigen Hinterläufen im offenen Fenster. Die gemarterte und neu zusammengesetzte Materie murrte in den zitternden Zellen über ihr Trauma. Das Bewusstsein war ein zartes Wesen, wie sich herausstellte, es verletzte sich, wenn etwas Grobes sich einfach danebendrängte.
Er hat sich in mich gedrängt.
Ich dachte an die geschändeten Jungfrauen der Geschichte – doch seine scharfe Zurechtweisung traf mich wie eine Ohrfeige: keine Anachronismen, du Idiot. Die alte Welt ist tot.
    Eine Pause, so als habe eine gedämpfte Glocke geschlagen. Der sanfte Tumult der Nacht kam zur Ruhe. Völlige Stille und Reglosigkeit. Der andere erduldete dies schweigend, ein kurzes Innehalten, um das Ende jenes Lebens zu markieren, wie ich es gekannt hatte (für ihn war dies das zu brechende Herz, eine Aufgabe, die er möglichst schnell hinter sich bringen wollte). Ich sah hinaus auf den vom Mond beschienen Scherenschnitt, die blassen Blumen, den Rasen, der den Atem anhielt. Ich

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