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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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blühte auf. Mit einer einzelnen flammenden Geste stand der Teppich in Brand. Ich sah mich zum ersten Mal selbst in dem Ankleidespiegel, wie ich da über dem ausgeweideten Körper kauerte. Ein schauriger Anblick, pornographisches Spiegelbild zu Füsslis ›Nachtmahr‹ – oder vielleicht eine Satire auf dessen Überzeichnung. Ihr linker Arm hing herab, weiß, schlank, geschmeidig, wundersamerweise unberührt, die Hand halb geöffnet, Finger wie zu einer Anrufung von etwas Zartem, Flüchtigem gekrümmt. Du meine Güte, das war schön.
    Sättigung überfiel mich. Viel, viel zu früh. Eine verspätete Entwicklung, die dem Beutezug Rechnung trug. Ich fraß ihr Fleisch, und mein eigenes verschlammte. Das gestohlene Leben zog über mein Bewusstsein hinweg wie eilende schwarze Wolken. Ich bemerkte, dass ich ein Bein vom Boden gehoben hatte, um das Gleichgewicht zu finden. Es kostete Mühe, es wieder abzustellen. Das verschlungene Blut wird zäh wie Melasse. Du schleppst es für eine Weile unbeholfen herum. Raus hier, bevor die Flammen dich aufhalten. Die Hitze schlug mir gegen den Rücken. Schon brannte ein Vorhang am Fenster.
    Ich ließ Arabellas Überreste aus meinen Armen auf das brennende Bett fallen. Ließ sie los. Ließ alles los. Ich blieb noch lange genug am Fenster stehen, um zu spüren, wie meine rechte Körperhälfte angesengt wurde und meine linke im Mondlicht badete, dann sprang ich hinunter, stürzte, stand auf und rannte los.

14 .
    Das Feuer verschlang das halbe Haus und tötete neun der siebzehn Angestellten. Zudem verschleierte es, wie unterbewusst beabsichtigt, die wahre Geschichte, wie Arabella ums Leben gekommen war.
    Der arme Charles litt nicht nur wegen des Verlustes meiner Frau (in die er zumindest vernarrt, wenn nicht gar schuldbewusst verliebt war), sondern auch wegen der meiner Freundschaft. In den Tagen direkt nach dem Brand war ich, wie er fand, verständlicherweise distanziert. Doch aus der Distanziertheit wurde Entfremdung, dann Abwesenheit. Ich übertrug meinem Verwalter die Aufgabe des Wiederaufbaus und reiste innerhalb von vierzehn Tagen nach Schottland ab. Einen Plan hatte ich nicht, reagierte nur auf den Reflex, mich so weit wie möglich von Menschen fernzuhalten.
    Ich nahm nur ein einziges Andenken mit.
    Das kleine ebenerdige Zimmer mit Blick auf das westliche Ende des Gartens war Arabellas Arbeitszimmer gewesen. Viel war nicht darin: ein Bücherschrank, ein Sekretär aus Walnussholz, einer der zerlumptesten indischen Teppiche und ein riesiger Lehnsessel, in dem es sich meine verstorbene Gattin gern mit ihrem Tagebuch bequem gemacht und ganze Nachmittage verkritzelt hatte. Das Tagebuch verstaute sie im Sekretär in einer komischen kleinen abschließbaren Schatulle, zusammen mit einer Handvoll Talismane aus ihrem risikofreudigen Leben; der Sekretär war zwar dem Brand zum Opfer gefallen, doch die Schatulle – und das Tagebuch – hatten es heil überstanden. Es befindet sich nun in einem Schließfach in Manhattan, zusammen mit meinen Tagebüchern, doch in den Wochen und Monaten nach dem Feuer lernte ich es auswendig. Ein paar Zeilen genügen:
     
    Sein Benehmen wird von Tag zu Tag verwirrter. Andere würden mich dafür schelten, mein Geheimnis für mich zu behalten, doch Jacob ist so sprunghaft, ich fürchte, die Enthüllung käme nur zur falschen Zeit. Letzte Woche war ich sehr oft kurz davor, es ihm zu sagen. Die Worte sind Gold unter meinem Herzen, Honig unter meiner Zunge: Jacob, ich trage Dein Kind in mir.

15 .
    Letzte Nacht, kurz nachdem ich den Stift beiseitegelegt hatte (quod scripsi, scripsi), fing es an zu regnen. Es regnete die ganze Nacht, und es regnet jetzt, am Nachmittag, noch immer. Der letzte Rest Tageslicht enthüllt eine niedrig hängende, weiche, dunkle Wolkendecke, unter der sich gelegentlich leichtere weiße Fetzen bewegen (›Nimbostratus pannus‹ für die Meteorologen, ›Regenboten‹ für die Fischer; zweihundert Jahre Langeweile, Bücher). Das Meer sieht aus wie durchwachsenes Fleisch. Vor diesem Hintergrund wirkt das Weiß der Möwen so rein wie in der Waschmittelwerbung. Der Regen frisst den Schnee fort. In den Tälern und Wäldern liegt noch eine Menge davon, aber in Zennor tauchen die Bürgersteige wieder auf. Wenn ich morgen nach London zurückfahre, wird der Zauber fast verschwunden sein. Die Stadt wird atemlos und niedergeschlagen wirken, wird den Aussetzer, den kleinen Traum, dass alles anders ist, lächerlich finden.
    »Hast du alles Notwendige

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