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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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ließ sich kaum vermeiden, dass ich dasselbe Verhältnis zu meinem Leben habe. Falsche Identitäten, Codewörter, Verabredungen, Überwachungen, Nachtflüge. Spionagequatsch. Und dabei hatten wir noch kein Wort über das ganze Horror-Story-Drumherum verloren. Wäre das Ganze ein Roman, würde ich ihn ablehnen, genau wie all die anderen Genre-Geschichten, die schon per Definition die Wirklichkeit nur verkürzt wiedergeben. Unglücklicherweise
ist
das für mich die
Realität
.
    Unumstößliche Tatsache ist: Ich habe meine Frau und unser ungeborenes Kind gefressen. Ich habe die
Liebe
getötet und gefressen. Blieben noch zwei Möglichkeiten: wachsen oder sterben. Sich umbringen oder damit leben. Nehmen oder lassen. Tja, hier bin ich nun.
    Es war ein Fehler. Nicht moralisch, meine ich, sondern strategisch. Ich hätte Arabella umdrehen sollen. Das wäre meine Chance gewesen.
Das
wäre meine Chance gewesen. Sie wäre ein besserer Werwolf geworden, als ich es je war. Sie war größer, mutiger, blasphemischer. Sie hätte ihr ganzes Potential ausschöpfen können.
Sie
hätte
mich
geleitet. Mein Wolfsbruder hat in seiner Eile das Heilmittel gegen Einsamkeit übersehen. Er hatte es in seinen Armen und konnte es nicht erkennen.
Ich bin seit elf Jahren glücklich mit meiner Frau verheiratet. Wir haben zwei wunderbare Kinder. Ich habe einen guten Job und ein schönes Heim. Sie ist in jeder Hinsicht meine Seelenverwandte – nur in einer nicht. Im Bett möchte ich
… Kathedralengroße Ehen fallen in sich zusammen, nur weil sie ihn nicht anpinkeln oder er sie nicht fesseln will. Nichts hält die Liebe so zusammen wie ein gemeinsames Laster oder eine heimliche Perversion. In all den Jahren, seit ich sie umgebracht und verschlungen habe, hatte ich genügend Zeit, um darüber nachzudenken, wie es wohl mit Arabella im Schein des, nun ja, Liebesmonds gewesen wäre. Ich stelle sie mir in blassen Strümpfen auf einer sonnenhellen edwardianischen Fensterbank vor, Zigarette in einer langen Spitze, wie sie laut vorliest: »›… Die Geschichte der Zivilisation beweist zweifellos, dass es eine intime Verbindung zwischen Grausamkeit und sexuellem Instinkt gibt …‹ Augenblick, das war nicht die Stelle – ach, hier ist sie: ›Einigen Autoritäten zufolge ist dieses aggressive Element des sexuellen Instinkts ein Überbleibsel kannibalistischer Begierden – soll heißen, ein Beitrag, abgeleitet aus dem System zur Erlangung der Oberherrschaft, das beschäftigt ist mit der Befriedigung des anderen und, ontogenetisch gesehen, dem älteren der großen triebgeleiteten Begierden …‹ Siehst du? Hab ich dir doch gesagt. Um wie viel Uhr sollen wir denn eigentlich bei dieser Party sein?«
    Wir hätten gemeinsam getötet, und wir wären
gut
darin gewesen.
    Allem äußeren Anschein zum Trotz habe ich Gut und Böse nicht ganz hinter mir gelassen. Absurderweise oder sonstwie glaube ich immer noch an Buße. Ich habe die Liebe getötet. Kurz nachdem ich Arabella und unser kleines ungeborenes Geheimnis in Stücke gerissen hatte, sprach meine Psyche das Urteil über mein Herz: Von nun an wirst du ohne Liebe ausharren müssen. Du wirst ohne Liebe töten. Ohne Liebe leben. Ohne Liebe sterben. Klingt nicht sonderlich nach Verbot, oder? Versuchen Sie es doch mal ein paar Jahrhunderte lang.
    Wie schon gesagt, hat es immer eine Art verkümmerten ethischen Wahnsinn gegeben und tut es immer noch. Im Laufe der Jahre habe ich die Unterdrückten gesucht und ihnen geholfen, von den flüchtigen Juden in den Wäldern Polens zu den terrorisierten Kleinbauern in den Hügeln El Salvadors. Ich habe Arbeiterbewegungen in Chile mit Geld unterstützt und den Antifaschisten in Spanien Waffen geliefert. Tolle Sache, ich weiß. Selbst die SS benutzt keine Silberkugeln. Man sollte glauben, die verrückten Okkultisten unter den Nazis hätten darauf bestanden, aber nein. Immerhin rettete ich zahlreiche Leben und tötete zahlreiche Arschlöcher. Mein Vermögen (von dem ich beim letzten Crash einunddreißig Prozent eingebüßt habe) hat künstliche Nieren und Tomographen finanziert, den Hungernden Essen gebracht, Impfungen der Bedürftigsten ermöglicht. Die Philanthropie läuft nun in Form von Stiftungen aus eigener Kraft. All dies (Gott ist tot, aber die Ironie, usw.) bezahlt mit indischem Opium. Mein Vater, einer der in London ansässigen Direktoren der East India Company bis kurz vor dem ersten Opiumkrieg, war in die Fußstapfen meines Großvaters getreten und hatte mich bei

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