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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Hatte keinen Zweck, die Hotelnummer anzugeben. WOKOP wusste, dass ich hier war, und falls sie die Anrufe in Earl’s Court überwachten, dann wussten sie schon alles über Harley. Ich legte auf und rief die Foundation an. Nein, Mr Harley war nicht da. Ob ich eine Nachricht hinterlegen wolle?
    Herrgott, Jake, hör zu. Es –
    Harley würde durchaus zu solch einem Trick greifen, um mich nach London zurückzulocken und einen weiteren Angriff auf meinen Entschluss zu wagen. Er war verzweifelt. Verzweifelt genug, um eine solche Nachricht zu hinterlassen? Vielleicht. Du bist ein selbstsüchtiges Arschloch, weißt du das? Das hatte er auf die Art gesagt, wie wir solche Sachen sagten, mit einer Spur Zuneigung. Aber eigentlich hatte er es so gemeint. Warum auch nicht? Stimmte doch.
    Ich zündete mir eine Camel an, schob den Vorhang beiseite und sah hinaus. Abenddämmerung. Regen. Autoscheinwerfer. Fußgänger unter Regenschirmen. Ab und zu schaut man in die Welt hinaus und weiß, dass die Götter ganz woanders sind. Dann erkennt man den Charakter der Welt, ein entsetzlich früh alleingelassenes Kind, dessen Überleben einen zu hohen Preis gefordert hat.
    Es klopfte an der Tür.
    »Wer ist da?«
    »Ich bin’s«, antwortete Madeline. »Lass mich kurz rein.«
    »Verdammt nochmal.«
    Ich öffnete die Tür und hatte noch den Bruchteil einer Sekunde Zeit, Ellis zu sehen, der einen Feuerlöscher in der Hand hielt, und Grainer, der Maddy hielt – dann traf mich der Feuerlöscher mitten ins Gesicht.

19 .
    Ich blieb bei Bewusstsein, verlor aber das Gleichgewicht und war im Nachhall der roten Explosion des Schlags so sehr verwirrt, dass Ellis mir hinter dem Rücken Handschellen anlegen konnte. Grainer schob Madeline mit der schallgedämpften Pistole hinüber zur Couch, hieß sie, sich hinsetzen, stellte sich dann hinter sie und drückte die Waffe an ihren Hinterkopf. Die Möblierung im Raum wirkte plötzlich angespannt. Man musste Madeline zugutehalten, dass sie nicht schrie. Ich hatte den Eindruck, es war nicht das erste Mal, dass sie es mit bewaffneten Männern zu tun hatte; ich hegte ein zärtliches Gefühl für sie und bedauerte, sie nicht öfter geküsst zu haben.
    Grainer hatte abgenommen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, das stand ihm gut. Öliges, dichtes dunkles Haar mit grauen Strähnchen, ein breites Gesicht, kleine harte braune Augen, pockennarbige Haut. Indianerblut irgendwo in ihm verlieh ihm die Wangenknochen und die undurchdringliche Distanz. In den Dolomiten hatte er einen leichten Jagd-Kampfanzug und Nachtsichtgläser getragen. Nun stand er hier wie ein schnieker Gangster in dunkler salopper Kleidung und einem teuren schwarzen Mantel.
    Ich spuckte einen blutigen Schneidezahn aus. Meine Nase war gebrochen. »Keine Sorge, Madeline«, sagte ich aus zerschundenem Mund. »Die wollen nur mich.«
    Ellis fand den Dimmer und machte ein wenig dunkler, wohl aus keinem anderen Grund als seinem eigenen ästhetischen Empfinden. Er nahm den Schreibtischstuhl, stellte ihn mir gegenüber und setzte sich. Im Film hätte er nun angefangen, sich die Fingernägel zu säubern oder einen Apfel zu schälen. In Wirklichkeit saß er einfach nur in einem Zustand entspannter Aufmerksamkeit da und stützte die Ellbogen auf die Knie. Das lange weiße Haar hatte er diesmal zu einem Pferdeschwanz gebunden.
    »Also«, sagte Grainer. »Wir wissen alles über Harley.«
    Abrupte strukturelle Verschiebung. So als sei eine Wand oder eine Tür verschwunden und kalte Luft dringe ein.
    »Ist er tot?«
    »Versuchen Sie gar nicht erst, das Gespräch zu lenken, Jake. Sie sind hier nur der Passagier.«
    Man sollte meinen, der Schrecken tritt ganz spektakulär auf. Tut er nicht. Er taucht einfach nur auf. Schon in den ersten Sekunden weiß man, dass man Platz dafür findet. Ich dachte an Harleys Gesicht beim Abschied (wie auch nicht?), dachte daran, wie zerbrechlich er sich in meinen Armen angefühlt hatte. Müdigkeit durchfuhr mich, so als habe das Herz ein wirkungsloses Stimulans ausgesendet. Gleichzeitig war da diese trübsinnige körperliche Gewissheit, dass etwas von mir verlangt wurde, dass ich etwas
tun
musste.
    »Wir wissen über Ihre Absichten für morgen Nacht Bescheid, Jake«, fuhr Grainer fort. »Sie wollen es einfach über sich ergehen lassen. Das gefällt uns nicht.«
    »Keine Herausforderung für Sie.«
    »Exakt. Wissen Sie, dass ich davon geträumt habe? In diesem Traum sitzen Sie – am helllichten Tag, aber völlig verwandelt –

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