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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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stumm stehen und blinzelte nicht. Ihn mit seinem Gewissen alleinzulassen, war so, als ließe man ein Kind allein mit einem Pädophilen.
    »Du bist mir ein guter Freund gewesen«, sagte ich. Er erwiderte nichts. Ich machte kehrt, öffnete die Tür, trat hinaus in den Flur und zog sie hinter mir zu.

18 .
    Als ich bei einem mit dunklen Wolken verhangenen Himmel die Grenze nach Clwyd überquerte, rechnete ich damit, dass es nicht einfach sein würde, exakt die Stelle wiederzufinden, an der ich vor einhundertsiebenundsechzig Jahren angegriffen worden war. Ich hatte mir schon vorgestellt, wie ich Stunden über amtlichen Karten brütete und die ortsansässigen Alten löcherte, mit rudernden Armen in Sümpfen stecken blieb, mich in den Wäldern verlief. Aber dies ist das 21 . Jahrhundert. Ich nahm mir einfach einen Leihwagen und fuhr von London aus nordwärts und dann nach Westen durch den Snowdonia National Park nach Beddgelert (wobei das
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im Walisischen als weiches englisches
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ausgesprochen wird), ein Dorf etwa fünf Meilen von Snowdon und einen angenehmen Spaziergang von drei Meilen vom Beddgelert Forest entfernt; und ich musste nur einen einzigen Nachmittag lang suchen, bis ich die Lichtung gefunden hatte, auf der Charles und ich vor so vielen Jahren unser Lager aufgeschlagen hatten. Von dort zwanzig Schritte bis zu dem Bach, dem Ort des Angriffs und der Stelle, an der die Jagdgesellschaft oder die SOL vorbeigeritten war. Ich setzte mich auf einen Felsen am Bachufer und rauchte eine Zigarette. Das war schon alles.
    Beddgelert hat nicht viel zu bieten, also nahm ich mir ein Zimmer mit Blick auf das unappetitliche Wasser der Menai Strait im Castle Hotel in Caernarfon, eine halbe Stunde nordwestlich des Waldes.
    Noch fünf Tage bis zum Tod.
    Alle praktischen Fragen sind seit langem geklärt. Die Firmen stehen unter der Aufsicht ihrer Vorstände. Ein gewisser Prozentsatz der Gewinne fließt in die Stiftungen. Das Gleiche gilt für die Erlöse aus den Grundstücksverkäufen. Der persönliche Reichtum (von Kunst und antiquarischem Krempel habe ich mich in den letzten fünfzig Jahren getrennt) wird auf Einzelpersonen verteilt werden, die mir bekannt sind (aber ich nicht ihnen), und zwar allein aufgrund herausragender Eigenschaften: Mitgefühl, Talent, Herzlichkeit, Humor, Gewissen. Ein Teil davon wird an ganz gewöhnliche Menschen gehen, die ich einfach kennengelernt habe und mag. Nichts davon wird an die Familien jener Personen gehen, die ich getötet und gefressen habe, und zwar aus dem einfachen Grund, dass es sie in den Wahnsinn treiben würde, wenn sie herausfinden sollten, woher das Geld stammt (diese Möglichkeit bestünde durchaus, ganz gleich, welche Vorsichtsmaßnahmen ich ergreife); sie würden es nicht hergeben wollen und am Ende die jeweilige tote Person hassen.
    Es gibt vielleicht ein Dutzend Dinge, die einem noch zu tun einfallen, wenn man nur noch fünf Tage zu leben hat. Ich bezweifle, dass der Besuch der Inigo Jones-Schieferwerke, des Luftfahrtmuseums Caernarfon, des Foel Farm-Parks oder des Meeresaquariums dazugehört. Und doch verbrachte ich einen Tag damit, mich dort umzuschauen, teils aus einem Akt der Selbstverspottung, teils aus unerwarteter Leere. Ich aß im Nieselregen ein Eis, fütterte einen verrückten Geldspielautomaten mit Münzen, trank einen Tee in einem mit klammen Rentnern gefüllten Café. Ich brachte dieses Tagebuch auf den neuesten Stand. Alles nur schwache Ablenkung vom sich schnell nähernden Fluch, der sich nicht um das reizende Abschiedsdrama kümmerte und bereits jetzt schon mein Blut aus Gehorsam vor dem zunehmenden Mond erregte. Und wenn wir schon bei Blut und Erregung sind, spielte auch noch meine Libido verrückt. Angesichts des beinah gescheiterten letzten Dates mit Madeline und den Tagen sexueller Ruhe in Cornwall (nichts, nicht mal ein Handjob), hatte ich gedacht, das Verlangen hätte sich endlich verabschiedet. Thanatos kommt, Eros geht. Ganz im Gegenteil. Am Ende des zweiten Tages lief ich mit einer mehr oder minder permanenten Erektion herum. Mich an einer Schlange anzustellen hieß, eine Verhaftung zu riskieren.
    Das Hosentaschen-Internet verriet mir, dass Caernarfon nicht nur eine, sondern gleich vier Escortagenturen aufzuweisen hatte, mit denen ich mich begnügte, bis gegen Mitternacht am Tag Drei eine ungläubige Madeline mit ihrer Louis-Vuitton-Reisetasche auf meine Kosten per Taxi zweihundert Meilen hergekarrt wurde. Ich hatte ihr dreifache Zeit und einen

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