Der letzte Werwolf
vorgestellt hatte, daran nie so recht geglaubt hatte. Der größte Schrecken bestätigt nur den Verdacht, den man sogar vor sich selbst verborgen hatte.
ES WAR NICHT SCHMERZLOS . ES WAR NICHT SCHNELL .
Ich bin daran gewöhnt, dass man den Körper gewaltsam in seine Bestandteile zerlegen kann. Für mich ist ein abgerissener Arm so wenig schmerzlich wie für Sie ein Hühnerbein. Trotzdem, das hier war Harley, zumindest was noch von ihm übrig war, ein schroffes Testament der Schändung, die er erdulden musste. Ein groteskes Testament, wenn man so wollte. Natürlich kichern Folterer bei der Arbeit: Der plumpe Gehorsam des Körpers auf physikalische Gesetze (wenn man fest genug zieht, geht dieses ab, drückt man fest genug, kommt jenes heraus), angesichts dessen die Besonderheiten der Persönlichkeit des Opfers nichts zählen, birgt in sich die Wurzeln der Komödie: die Unterwürfigkeit des Geistes unter das Fleisch. Einen Kopf kann man abtrennen, ihn in einen Beutel stecken, auf einen Pfahl spießen, damit Volleyball oder Fußball spielen. Urkomisch, unter anderem. Auch dessen bin ich überdrüssig, diese Gummiartigkeit von Grenzen, diese Nähe von Gegensätzen, die deprimierenden bluttriefenden Übergänge von Schmerz zu Scherz, von Gut zu Böse, Tragödie zu Farce.
In der Zwischenzeit stiegen in Madeline ungezügelte Energien auf. Ich wusste, wenn sie hierblieb, würde der Schock nachlassen und sie würde das alles verstehen wollen. Langsam legte ich den Kopf zurück in die Reisetasche, zog vorsich- tig den Reißverschluss zu, ertappte mich aus geistloser Gewohnheit dabei, wie ich mir wünschte, die Dunkelheit würde Harley Erleichterung bieten.
»Du solltest jetzt gehen«, sagte ich zu Madeline.
»Wer ist das?«
»Egal.«
»Wir sollten die Polizei rufen.«
»Am besten gehst du einfach. Die Polizei kann hier nicht helfen.«
»Aber –«
»Niemand wird dir etwas tun, versprochen. Geh einfach und überlass das mir.« Mein Zeitfenster war so lange geöffnet, wie Madelines System abgestürzt blieb. Ich packte alles, was ich von ihren Sachen finden konnte, und stopfte es in die Louis-Vuitton-Tasche. Madeline blieb bei der Tür stehen.
»Der Typ meinte, du bist ein –«
»Das ist nur ein Codewort unter Agenten.«
Er ist ein Werwolf, Schätzchen
. Natürlich war das hängengeblieben. Natürlich hatte sie eins mit dem anderen verknüpft.
»Aber du hast doch gesagt … All das Zeug. Nichts davon ist wahr. So etwas gibt es nicht.« Letzteres klang nicht recht überzeugend, fast wie eine Frage.
»Natürlich nicht«, bestätigte ich. »Das ist nur so ein Spiel von mir, ein Gag. Nichts Wichtiges. Na komm. Hier, nimm das Geld.« Sechstausend. Sie nahm es wie betäubt an. Ihr Gesicht war feucht, ihre weißen Hände mit den Äderchen schön. Ich musste sie drängen, damit sie nicht stehen blieb, zurückspulte, alles noch mal durchging, einen Sinn in allem zu erkennen suchte. Am Ende schob ich sie fast mit Gewalt hinaus. Ich wusste, das Risiko war hoch, dass sie sofort zur Polizei gehen würde.
Also packte ich hastig und checkte aus. Die Reisetasche steckte ich mit meinem Gepäck in den Kofferraum des Vectra und fuhr los. Nach Süden. Nichts Genaues, nur der plötzliche klaustrophobische Drang, all den Kram der Stadt gegen die klaren Räume der Küste einzutauschen.
Es war dunkel und regnete. In Gedanken besprach ich alles mit Harley – dann ging mir auf, dass er tot war. Das Ganze war eine mentale Schleife, noch verstärkt durch das Mantra des Scheibenwischers:
Wischak, wischak, wischak
. Ich muss wohl so etwas wie Kummer (oder Selbstmitleid) verspürt haben, denn ich deutete das gute Lenkverhalten und den Geruch von neuem Vinyl als anthropomorphisches Mitgefühl. Ich weinte nicht. Reale Dinge bringen mich nicht zum Weinen. So etwas schaffen nur falsche, sentimentale Dinge. In dieser Hinsicht bin ich wie die meisten zivilisierten Menschen. Nein, ich fuhr flüssig, kümmerte mich um die kleinen Handlungen, ging immer wieder die mentale Schleife durch, im Geiste alles mit Harley zu bereden und dann zu erkennen, dass er tot war. Als die Schleife in sich zusammenfiel, blieb nur noch eine riesige Leere.
Die Straße folgte der Küste. Im Westen Caernarfon Bay und die Irische See, ab und zu Schiffslichter, ein oder zwei Tanker. Östlich und südlich erhob sich die Landschaft zu einer weiteren Reihe von vokalarmen Hügeln: Bwlch Mawr, Gyrn Ddu, Yr Eifl. Natürlich wurde ich verfolgt, seit ich das Hotel verlassen hatte.
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