Der letzte Werwolf
Zigarette und Gin Tonic in die andere, stand auf und folgte ihr.
Es ging durch zwei große Räume (in dem einen davon gab es eine in der Mitte angebrachte, kreisrunde Designerfeuerstelle und einen großen Findling, sonst kaum etwas), dann einen Gang entlang zu einer Stahltür mit Tastenschloss. Dahinter führten lackierte Eichenstufen in die unglaubliche Bibliothek. Klimaanlage und der Eindruck von schalldichten Wänden. Weitere schwere Türen, ebenfalls mit Tastenschlössern, zweigten davon ab. Jacqueline blieb vor einer davon stehen, sah mir kurz in die Augen, gab dann den Zugangscode ein und öffnete die Tür.
Der Raum dahinter war klein und hatte kein Fenster. Ein Aktenschrank, ein Schreibtisch, ein Computer – die Wand dahinter voller Zeitungsausschnitte. Alle davon drehten sich in der einen oder anderen Weise um mich. LEICHE DES VERSCHWUNDENEN MÄDCHENS GEFUNDEN. CORAL INDUSTRIES GRÜNDET AIDS-HILFSFONDS FÜR SUBSAHARA-AFRIKA. VECTOR FÄHRT FEINDLICHEN BUY-OUT. VERSTÜMMELTE LEICHE GEFUNDEN. MANSON-ANGRIFF AUF FAMILIE. UNBEKANNTER SPENDER FINANZIERT BAHNBRECHENDE KREBSFORSCHUNG. WEM GEHÖRT LAERSTERNER INTERNATIONAL? STADTBEKANNTER JUNKIE: ICH HABE EINEN WERWOLF GESEHEN! ANONYMER SPENDER GIBT GELDSPRITZE FÜR IMPFPROGRAMM. NÄCHTLICHE SCHIESSEREI: ›SILBERKUGELN‹ GEFUNDEN. VECTOR FUNGIERT NUN UNTER HERNE. MORDE BEI VOLLMOND? REINER ZUFALL, SAGT POLIZEI.
»Drücken Sie Enter«, sagte Jacqueline Delon.
Die animalischen Überbleibsel mögen keine engen Räume. Ich unterdrückte das, setzte mich an den Schreibtisch und drückte auf die entsprechende Taste. Sofort erschienen Filmausschnitte auf dem Monitor. Ich verlasse den internationalen Ankunftsbereich des Flughafens Tokio. Unterzeile: JM Tokio, 07 . 02 . 06 . Ich komme aus dem Algonquin. Ich gehe den Strand von Galveston entlang. Ich betrete Harleys Haus in Earl’s Court. Ich schlendere über die Rue de Rivoli. Ich sitze in einem Café in Kairo. Alles Aufnahmen aus den letzten drei Jahren. In der letzten Einstellung sieht man mich als Frau, wie ich aus einem Taxi steige und das Leyland Hotel betrete.
»Ich sollte wohl überrascht sein, nehme ich an?«
»Überhaupt nicht. Das soll Ihnen nur meine Entschlossenheit verdeutlichen.«
Es gab keinen Aschenbecher, also trank ich meinen Tanqueray aus und ließ die Kippe ins Glas fallen. »Tja, und nun haben Sie auch noch die Aufnahmen von der Verwandlung. Sehr wichtig für eine öffentliche Brandmarkung. Und den Mord haben Sie auch im Kasten, nehme ich an. Meine Glückwünsche. Bereiten Sie sich auf die Last der öffentlichen Gleichgültigkeit vor.«
»Bitte beleidigen Sie mich nicht. Sie wissen genau, dass es nicht darum geht.«
»Worum dann?«
»Es geht darum, Ihnen einen Zufluchtsort zu bieten.«
»Was?«
»Ich möchte, dass Sie am Leben bleiben. Ich biete Ihnen unbegrenzt Schutz. Richtigen Schutz«, betonte sie, als sie die Ablehnung sah, die auf meinem Gesicht Gestalt annahm. »Nicht das – nicht, was Sie bisher gewohnt sind. Ich glaube, Sie haben keinerlei Vorstellung davon, was der Welt mit Ihrem Tod verlorengeht. Sie sind etwas ganz Besonderes, Jake. Es gibt nicht mehr viel Besonderes.«
»Vielen herzlichen Dank. Ich glaube, ich gehe jetzt lieber.«
»Bitte hören Sie mir zu.«
»Es gibt nichts zu bereden.«
»Sie müssen mir die Chance geben, Sie –«
»Seien Sie doch nicht so derart albern.«
Jacqueline verstummte. Sie ließ jungmädchenhaft den Kopf sinken und zupfte an einem Niednagel. Die Darstellung unterdrückten Missmuts. Mir fielen wieder die kleinen, prallen Brüste und der einladende Unterleib ein. Blut floss zuckend in mein Glied. Natürlich. Die Erektion nach dem Fluch. Und auch hier kann das Fleisch nicht anders. Gelächter, Verlangen, Langeweile und Erschöpfung taten als Team alles in ihrer Macht Stehende und zwangen mich in eine einzigartige Paralyse. Die Hände in meinem Schoß waren wie zwei tote Krabben.
Bleib einfach
, hatte Harley gesagt.
Was immer auch mit Jacqueline Delon nicht stimmte, ihre sexuellen Instinkte waren sensibel. Sie tat die zwei Schritte, die nötig waren, um sich in meine Reichweite zu bringen. Damit solche Augenblicke funktionieren, muss man wissen, wann Schweigen entscheidend ist. Stumm stellte sie ihre Beine links und rechts von meinem Knie auf, blieb aber stehen. Auf diese Weise befand sich der heiße Ort unter dem Rock direkt über meiner linken toten Krabbenhand. Und dorthin hob sich die nun wieder lebendige Hand (wird dies immer tun,
Weitere Kostenlose Bücher