Der letzte Werwolf
wir erstmal dort, verspreche ich Ihnen nichts als Luxus, Ruhe und Unterhaltung. Falls Ihnen das lieber ist, kann ich dafür sorgen, dass man Sie an jedes beliebige Ziel bringt. Ich werde Sie nicht wieder belästigen. Allerdings hoffe ich sehr, dass Sie sich anhören, was ich zu sagen habe. Kann ich die Tür ungefährdet öffnen?«
Heroisch wäre es gewesen abzulehnen. Sie beim Wort zu nehmen und mich per Hubschrauber am nächstgelegenen Flughafen absetzen zu lassen.
Scheiß
auf Unterhaltung. Aber ich war erschöpft. Die Verlockung, mich ganz in die Hand einer anderen Person zu begeben, grenzte an Sinnlichkeit.
»Sie haben zu Hause eine gut ausgestattete Bar, nehme ich an?«
»Drei.«
»Dann können Sie öffnen.«
Als wir uns auf dem Plastik gegenüberstanden, hielt sie mir ihre Hand hin. Ich hätte sie am liebsten genommen und einen Finger abgebissen, so viel Wolf war noch in mir, doch ich begnügte mich mit einem sanften Händedruck. »Jetzt können wir uns entspannen«, sagte sie. »Ich bin ja so erfreut, Sie kennenzulernen.«
Ich folgte ihr zur Tür. Der Blödmann mit der Waffe blieb zurück. In dem kurzen Gang vor uns stand ein kleiner Klapptisch, darauf meine Kleidung (inklusive der Wollmütze, die mir Harley gegeben hatte), gereinigt, getrocknet, gebügelt. Jacqueline öffnete links eine Tür zu einem Spind. Ich sah eine Dusche, einen Plastikstuhl, ein weizenfarbenes Kleid auf einem Bügel. »Ich muss mich nur umziehen«, sagte sie und wies auf die Krankenhauskleidung. Ich suchte in der Innentasche meines Mantels nach dem Tagebuch. Es war da, zusammen mit Ausweisen und Brieftasche. Ich vergeudete keine Zeit damit, mich zu fragen, ob sie es wohl gelesen hatte. »Und?«, fragte ich.
»Faszinierend«, antwortete sie. »Aber lassen Sie uns bei einem Gläschen darüber reden.«
24 .
Jacqueline Delons Villa steht ein paar Kilometer südlich von Biarritz auf einem bewaldeten Hügel etwas westlich der kleinen Gemeinde Arbonne. Modern, weiß, Glas, Eiche und Stahl, umgeben von acht Morgen Privatgrund. Das übliche Drumherum: Hubschrauberlandeplatz, Infinity Pool, Tennisplatz, Fitnessraum, Überwachungskameras, ein Stab aus Haushaltspersonal und Sicherheitsleuten. Die Zimmer sind groß, hell, mit allen möglichen Gegenständen dekoriert, die Delons Obsession mit dem Okkulten bekunden. Von den oberen Stockwerken (von denen es drei gibt, dazu die Dachterrasse) kann man über die immergrünen Bäume zum blassen Strand hinunterschauen, zur Brandung, aufs Meer hinaus. Im Keller gibt es eine Bibliothek, die Harleys in den Schatten hätte stellen können. Die gesamte Technik ist auf dem neuesten Stand. Und tatsächlich gibt es drei Bars – im Wohnzimmer, am Pool, in der Schlafzimmersuite der Hausherrin –, in die erste davon zogen Madame Delon und ich uns nach unserer Ankunft allein zurück.
Ich zündete mir die erste zutiefst nötige Zigarette seit der Verwandlung an (auf der Theke lag eine Schachtel Camel; sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht), meine Gastgeberin schenkte uns Drinks ein. Tanqueray und Tonic für mich (in dem Raum war es zu hell für Whisky), einen Tom Collins für sich selbst. Nikotin und Alkohol umarmten sich in meinem Inneren wie lang getrennte, für das Wiedersehen dankbare Geschwister.
»Es ist schon lange her, dass ich selbst eingeschenkt habe«, gestand Jacqueline Delon. »Sonst ist immer jemand da. Aber ich hielt es für das Beste, wenn wir erstmal allein sind.« Sie hatte sich neben mich hingesetzt – an der Bar gab es sechs hohe Drehhocker aus weißem Leder – und stupste mit dem Zeigefingernagel nach ihren Eiswürfeln. Die Wand links von mir war aus Glas, und ich sah hinaus auf eine terracottageflieste Terrasse und einen Kaktusgarten. Die Erde war so rot wie Cayennepfeffer. Es war erst Mitte März, doch der Himmel war klar, und kein Lüftchen regte sich. Man konnte bereits das blendend strahlende Licht spüren, das der Sommer hier mit sich brachte. Kleine Vögel flatterten zu einem Futtertrog hinüber, der an einer weißen Wand befestigt war.
»Also«, hob Jacqueline Delon an. »Ich muss mich erklären. Eigentlich läuft alles darauf hinaus, Jacob …« Sie sah zu Boden, lächelte, unterhielt sich kurz innerlich mit sich selbst, ließ die Schultern sinken, glitt dann vom Hocker und stellte sich vor mich. »Kommen Sie mit«, sagte sie und streckte mir ihre Hand hin. Sie hätte eine Neunjährige sein können, die mir ihr Baumhaus zeigen wollte. »Kommen Sie.«
Ich nahm ihre Hand,
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