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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Andeutungen, entsandte seine unkündbare Liebe, in die sich auf merkwürdige Weise das Bild von Jacqueline Delons schmalem Gesicht und den eng in Rot gepackten Brüsten mischte.
Bitte akzeptieren Sie als Friedensangebot mein Geschenk an Sie
. Sie hatte offenkundig die üblichen Grenzen überschritten. Mit freundlicher Genehmigung des Reichtums.
Sie sind genau so, wie ich es mir erhofft hatte
. Diese Bemerkung war ein Affront, Subjekt und Objekt hatten die Plätze getauscht.
Ich
entsprach
ihren
Erwartungen? Für wen hielt sie sich eigentlich, verdammt?
    Das war natürlich der peinliche Kern der Angelegenheit. Ich war ein Tier, gefangen, eingesperrt und von Kameras observiert. Mein Hodensack schrumpfte vor Scham bei dem Gedanken, bei der Verwandlung beobachtet, schlimmer noch, dabei gefilmt worden zu sein. Und nun war ich hier zurückgelassen worden, um zu tun, was in meiner Natur lag. Ich war
l’objet d’une voyeuse
. Selbst der Löwe erkennt seine Erniedrigung, wenn er seine Gefährtin vor den Augen der gelangweilten Zoobesucher besteigt. Hier, in Gefangenschaft und in einer Show (ich traute den Kameras trotz Madames Instruktionen nicht, vermutete weitere Kameras, Fernsehüberwachung, Gucklöcher) zu töten und zu fressen, wäre eine massive, vulgäre Erniedrigung, eine ästhetische Beleidigung, liebste Maddy.
    So bekam der Hunger einen ersten Eindruck davon, dass ihm Widerstand drohte. Du machst Witze, oder, fragte der Hunger. Dann ein wenig strenger: Du machst doch Witze!
    Ich ging schnell zu der Kiste hinüber und öffnete den Deckel.
    Drinnen lag ein nackter, weißer, androgyner junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, geknebelt, gefesselt und, nach seinen Pupillen zu urteilen, auf Drogen. Schmutzige, fettige blonde Haare, winzige Brustwarzen. Junkiearme und langer, dürrer Penis. Die Drogen halfen wohl nicht gegen meinen Anblick. Seine wunden Augen schauten mich an und drehten dann ab. Der Bursche schrie hinter seinem Knebel. Ein Hauch von Angst in seiner Atemluft wie Magenbitter.
    Oh, sagte der Hunger. Oh, du süßes,
süßes
Ding.
    Die von mir Verschlungenen erhoben sich in ihrem Zellgefängnis (ein Resultat des Menschenfressens besteht darin, dass die Verspeisten nach Gesellschaft verlangen. Jedes neue Opfer ist eine weitere Stimme im monatlichen Chor). Ganymeds Knöchel und Handgelenke waren blutig von seinen Versuchen, seine Fesseln zu sprengen. Blaue Äderchen zeigten sich in der weißen Haut seines Bauchs. Die Ausdünstungen des Entsetzens drangen ihm aus den Poren und machten mir das Maul wässrig. Meine Speicheldrüsen taten ihre Pflicht. Angesichts dieses … dieses
Fleischs
taten mir bei dem Gedanken an die bevorstehenden acht Stunden Zähne und Krallen weh. Meine
Haare
taten mir weh. In meinem Verstand arbeitete sich die Schwäche vor: Widerstand war zwecklos. Ich würde zusammenbrechen, würde ihn töten und verschlingen, und Jacqueline Delon würde zuschauen, während sie sich lecken ließ oder eine Zigarette rauchte, eine Crème brûlée aß oder sich die Nägel feilte.
    Trotzdem.
    Blieb noch die tiefsitzende ästhetische Abscheu. Weniger abgehoben formuliert, widerte ich mich selbst an. Mich einfach so fangen zu lassen. Mich als Unterhaltung wiederzufinden. All die Jahrzehnte, in denen ich es leid war, Werwolf zu sein. Und trotzdem weitergemacht zu haben. Harley das Leben gekostet zu haben (sein armer Kopf lag noch immer im Kofferraum des Vectra. Die Anwohner würden einen Geruch bemerken. Es würde in den Nachrichten kommen, würde in der gespielten Ungläubigkeit eines Nachrichtensprechers in die Welt hinausgehen: »In dem walisischen Dorf Trefor entdeckte die Polizei heute den abgetrennten Kopf von …« Himmel, die erschöpfende Vorhersagbarkeit des Ganzen).
    Der Bursche warf sich hin und her und schrie hinter seinem Knebel. Das Schiff reagierte mit einer großen, wankenden Bewegung auf die See, und einen Augenblick lang dachte ich wirklich (Gott ist tot usw.), ich müsste mich auf die bedauernswerte Kreatur übergeben. Ich ließ den Deckel zufallen. Dann machte ich mir Sorgen, er könne ersticken. Dass Jacqueline die Kiste öffnete, nur um darin den Burschen erstickt zu finden, nicht zerfleischt, war nun nicht das Ende, das ich wollte. Schnell entdeckte ich die Luftlöcher in der Seite der Metallkiste. Sehr gut. Allerdings hatte der Hunger mitbekommen, dass ich es ernst meinte. Keine Barbiturate, kein Benzedrin, kein Chloroform, kein Lachgas. Keine Ketten, keine Zeitschlösser. Kein

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