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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Fragen beschäftigt. Aber das hält nicht ewig an.«
    »Ich beschäftige mich noch immer damit.«
    »Du bist Französin. Wenn ihr damit aufhört, bricht die Kaffee- und Tabakindustrie zusammen.«
    Jacqueline kicherte. Sie brachte mir meinen Drink, fuhr mir mit den Fingernägeln leicht über den Oberschenkel und ging dann seidenraschelnd zum japanischen Tischchen hinüber. Sie kniete sich hin und begann wenig anmutig, sich zu bedienen. An ihren weißen Händen und Knöcheln waren Adern zu sehen; mein Glied regte sich in einem tumben, nervenden Reflex. Jacqueline war keine, in die ich mich verliebt hätte, doch der Gedanke, sie zu fressen, wirkte verlockend, wie aus großer Entfernung.
    »Werwölfe sind kein Forschungsgegenstand der Universitäten«, sagte sie, »aber du kannst dir ja denken, was die Professoren sagen würden, wenn sie es wären. ›Ungeheuer sterben aus, wenn die kollektive Vorstellung sie nicht länger benötigt. Das Aussterben einer solchen Art ist nichts anderes als eine Verschiebung in der Gesamtheit der psychischen Tagesordnung. In der Vergangenheit verbarg sich das Tier im Mann im Dunkeln, wurde verleugnet. Die Transparenz der Moderne macht dies unmöglich: Wir haben uns selbst in Konzentrationslagern gesehen, in Gulags, im Dschungel, auf den Schlachtfeldern, wir haben uns längst in die Annalen der wahren Verbrechen eingeschrieben. Die Technologie hat das Licht angemacht, und es bleibt eine nicht zu leugnende Tatsache: Die Bestie ist überflüssig. Das waren wir, die ganze Zeit.‹«
    »Ja«, meinte ich. »Das sage ich mir auch schon die ganze Zeit: Ich bin nur eine altmodische Vorstellung. Aber weißt du, wenn man sich dabei ertappt, wie man ein Kind reißt und sein Herz verschlingt, dann ist es ziemlich schwer, nicht von der konkreten eigenen Realität überwältigt zu werden.«
    Wieder lächelte Jacqueline. Sie genoss es. Noch schlimmer, ich fing ebenfalls an, es zu genießen. Dennoch hatte die Erwähnung des Quinn’schen Tagebuchs, die Erinnerung an meine Zeit, als Bedeutung noch etwas bedeutete, seit langem ruhenden Staub aufgewirbelt.
    »Außerdem«, fuhr sie fort, »sind da noch die Vampire. Wenn die menschliche Psyche so im Einklang mit sich selbst ist, warum geht’s denen dann so gut?«
    »Ich beschäftige mich nicht mit Vampiren«, wehrte ich ab.
    »Sie halten euch für primitiv«, erklärte sie. Sie sah weg und fügte an: »Das liegt natürlich am Verlust der Sprache.«
    Der zweite Drink war mit empörender Schnelligkeit verschwunden. »Dir wird der verdammte Schädel einfrieren, du Dummer«, hatte Harley gesagt. Armer Harls. Einmal hatte er sich, nachdem ihm ein junger Galan das Herz gebrochen hatte, in ein Halbkoma getrunken, das zwei Tage lang anhielt. Als er aufwachte und sah, dass ich die ganze Zeit auf ihn aufgepasst hatte, sagte er verwirrt: »Meine Güte, du bist so was von lieb.« Dann war er wieder eingeschlafen.
    Ich hatte den Faden verloren. »Tut mir leid«, meinte ich zu Jacqueline, »was hast du gesagt?«
    »Werwölfe können nicht sprechen.
Les Vampyres
finden das urkomisch.«
    »Ja«, sagte ich nur. »Natürlich.« Einer der großen Fehler dieses Fluchs, dieser Sprachverlust. So entgeht einem die ganze Ungeheuerlichkeit. Natürlich ist es ein großer Genuss, den Bauch des Opfers mit einer Kralle aufzuschlitzen, aber längst nicht so genussvoll, wie mit dem Opfer reden zu können, wenn man es tut. »Du bist es«, hatte Arabella gesagt – animalische Stummheit hatte mir die Erfüllung versagt, darauf mit »Ja, ich bin es« zu antworten. Reinste Grausamkeit erfordert, dass das Opfer weiß, es leidet aus deinem eigenen freien Willen heraus. Du bist es. Ja, mein Schatz, ich bin es. Jetzt pass mal auf.
    »Vampire neigen eh zum Snobismus«, sagte Jacqueline. »Und den rechtfertigen sie mit der Tatsache, dass Werwölfe nicht sprechen können. Sie hingegen können einen großen literarischen Schatz vorweisen.«
    Dass sie eine Zivilisation bilden, ist einer der großen Behauptungen der Vampire: Sie haben Kunst, Kultur, Arbeitsteilung, politische und juristische Systeme. Dazu gibt es keine lykanthropischen Parallelen. Die plumpe Erklärung dafür lautet: Wir sind einfach zu sehr damit beschäftigt, Beute und Bräute zu jagen, doch die Wahrheit lautet: Die Sprache des
Wer
ist dem
Wolf
Anathema. Nach ein paar Verwandlungen verliert der Mensch langsam das Interesse an Büchern. Vom Lesen bekommt man blutbraune Kopfschmerzen. Die Mitmenschen finden einen lakonisch. Sätze von

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