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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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sich zu geben, fühlt sich an wie eine riesige, unsaubere Plackerei. Ich habe von Werwölfen gehört, die jahrzehntelang kaum ein Wort von sich gegeben haben.
    »Ja«, räumte ich ein und zündete mir erneut eine Camel an, »wir sind keine literarischen Genies.«
    »Dich ausgenommen.«
    Nun ja. Offenkundig kann
ich
, aus der Art geschlagen, den Mund nicht halten, verdammt. Ich blies einen Rauchring. »Da du das Tagebuch gelesen hast, kann ich das ja wohl nicht mehr abstreiten«, räumte ich ein.
    »Und wie erklärst du dir das?«
    »Ich mag es wohl, wenn mir eine Nutte mit Worten das Herz bloßlegt.«
    »Natürlich, aber warum?«
    »Angeborene Logorrhoe.«
    »Jake,
bitte
. Das ist doch offenkundig.«
    »Und doch sehe ich es wohl nicht.«
    Jacqueline schüttelte lächelnd den Kopf. Sie schob sich eine Erdbeere in den Mund, kaute, schluckte. Dann wischte sie sich die Hände mit einer dicken Serviette ab. »Doch, tust du. Es ist dir nur peinlich. Du klammerst dich an die Sprache, weil es ohne Sprache keine Moral gibt.«
    »Ach ja, ich verbringe viel Zeit damit, über Moral nachzudenken, zumindest, wenn ich nicht gerade Menschen umbringe und sie auffresse.«
    »Ich rede davon, Zeugnis abzulegen. Ich rede davon, es zu ertragen,
dir selbst Zeuge zu sein
. Was sonst sind denn die Tagebücher anderes, wenn nicht der Drang, die Wahrheit darüber zu sagen, was du bist? Und was ist dieser Drang, wenn nicht ein moralischer Drang? Das ist doch reinster Kant.«
    Jacqueline gab eine besonders verstörend attraktive Figur ab, wie sie da in ihrem elfenbeinfarbenen Seidengewand saß, unter das sie die Beine gezogen hatte. »Wie lautete der Satz noch mal? ›Gott ist tot, die Bedeutung auch, und doch verfügt der ästhetische Betrug noch immer über die Macht, einen zu beschämen.‹ Ästhetischer Betrug, wohlgemerkt. Die Wahrheit zu sagen ist ein wunderschöner Akt, auch wenn die Wahrheit selbst hässlich ist – und du, mein Lieber, kannst nicht anders, als dich um die Schönheit zu sorgen.
Das
ist deine Notlage, dein wahrer Fluch.«
    »Faszinierend, wie andere so etwas sehen«, bemerkte ich. »Aber ich muss jetzt wirklich los.« Ich warf die Beine über die Bettkante und griff nach meiner Hose.
    »Ich habe Quinns Buch«, erklärte Jacqueline.
    Lügen haben einen deutlich erkennbaren Klang. Dieser Satz hatte ihn nicht. Es kostete mich ziemliche Mühe – nach kürzestem Zögern –, mir weiter die Hose anzuziehen. Ich stand auf und zog sie hoch. Hat man seine Hose an, kommt einem alles ein winziges bisschen weniger verzweifelt vor. Dennoch war mir schlecht. Man gewöhnt sich daran, dass niemand etwas hat (mal abgesehen von Fleisch und Blut, von
Leben
), das man selbst gern hätte. Man hält diese eigene Hinlänglichkeit für gegeben. Man vergisst, wie zufällig das ist. Man vergisst, welcher Luxus das ist.
    »Gut«, sagte Jacqueline, die mich beobachtete. »Ich sehe, du weißt, ich sage die Wahrheit. Das spart uns Zeit.«
    »Wie bist du da rangekommen?«, fragte ich, obwohl ich mir ziemlich sicher war, es zu wissen. Die Erinnerung an Harley –
Vor drei Monaten hat jemand einen von Mubaraks Läden in Kairo überfallen
– war wie die Pointe, bei der man stöhnen musste.
    »Ach, das ist eine zu lange Geschichte. Bleib zum Dinner, und ich erzähl sie dir. Jetzt muss ich erstmal dringend duschen.« Jacqueline stand auf.
    »Ach, diese Technik also? Mich zappeln lassen?«
    »Nun, wenn du nicht zur Vernunft kommen willst.«
    »Wie kommst du auf die Idee, dass mir das heutzutage nicht scheißegal ist? Es ist mir tatsächlich scheißegal, wenn ich so darüber nachdenke.«
    »Dann geh. Wenn du tatsächlich keinerlei Interesse daran hast, dann geh. Am Tor draußen wartet mein Chauffeur. Er hat den Auftrag, dich zu fahren, wohin du willst.«
    »Was
willst
du eigentlich von mir?«, fragte ich sie.
    Sie drehte sich um, schob eine Hand in die Tasche ihres Gewands und sah zur Glaswand hinaus. »Das habe ich dir schon gesagt«, antwortete sie. »Ich will, dass du lebst.«

26 .
    Ich zog mich fertig an. Sonnenlicht erfüllte den großen, parfümgeschwängerten Raum. Ich trat ans riesige Fenster und sah hinaus, so wie Jacqueline es getan hatte. Dunkle Koniferen reichten bis zur blassen Küstenlinie und dem glitzernden Meer. Blauer, wolkenloser Himmel, Londons jüngster Schneefall eine ganze Welt und hundert Jahre entfernt, dabei war dies noch immer Europa, es war noch immer Anfang März. Der Sex hatte uns bis in den späten Nachmittag hinein

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