Der letzte Werwolf
Zeichen!“
„Die Mondlilie“, wiederholte Valentina tonlos. „Sie ist der Schlüssel. Mit der Mondlilie hat der ganze Wahnsinn angefangen.“
Als Dorian wieder aus dem Badezimmer kam, bat ihn Valentina, einen Blick auf das silberne Schmuckstück werfen zu dürfen. Bereitwillig zog er es unter dem Morgenmantel hervor.
„Von wem hast du das?“
„Liebe Mademoiselle, ich kann mich nicht entsinnen. Ihr Bruder sagte mir, dass es von Bedeutung sei, doch wüsste ich nicht welcher.“
Valentina reichte ihm das kleine Seidentuch, zu dem sie auf so merkwürdige Weise gekommen war. „Schau dir das mal an! Kannst du damit etwas anfangen?“
Dorian nahm es an sich und betrachtete es stumm. Plötzlich begann seine Hand zu zittern und Tränen sickerten aus seinen Augenwinkeln.
Valentina und Phil warfen sich erwartungsvolle Blicke zu.
„Es war der lieben Frau Mama zu eigen“, sagte Dorian leise, als er sich wieder etwas gefasst hatte. „Die hochverehrte Madame grand-mère gab es ihr einst.“
Valentinas Herz hämmerte gegen ihre Brust. Kam jetzt endlich Licht ins Dunkel? „Was weißt du über das Symbol? Sagt dir Collegium Dianae etwas? Es muss ein geheimer Frauenorden gewesen sein.“ Ihre Stimme bebte. „Bitte denk nach!“
Dorian rieb sich verneinend die Stirn. „Der Funke des Erinnerns ist verglüht“, sagte er unglücklich.
„Leute, aber dafür ist mir vielleicht was Brauchbares eingefallen!“, sagte Phil langsam. „Das Buch. Das Buch mit der Silberprägung, das im Archiv auf einmal aus dem Regal gefallen ist. Dad hat gesagt, es handle sich um handschriftliche Aufzeichnungen von Margareta Luisa von Treuenstein, also Dorians Großmutter. Was genau drinsteht, wusste er zwar nicht, aber nach allem, was passiert ist, glaub ich, dass es uns weiterhelfen könnte. – Dieses Symbol …“ Er schüttelte den Kopf. „Das war kein Zufall.“
„Margareta Luisa.“ Dorian nickte abwesend. „Wohl wahr, so ist der Name der grand-mère.“
Valentina strich über das Seidentaschentuch. „Wahrscheinlich hast du recht, Phil. Irgendjemand … irgendetwas …“ Sie legte eine versonnene Pause ein. „Es ist, als wäre das Symbol des Diana-Ordens eine …“ Sie suchte nach einem geeigneten Wort.
„Eine Fährte?“, ergänzte Phil.
„Ja. Wenn ich nur wüsste, wohin uns diese Fährte führen soll.“
K APITEL 5
V alentina schrie auf. Zitternd tastete sie nach dem Schalter der Nachttischlampe. Licht! Sie ließ den schweißnassen Kopf zurück aufs Kissen fallen. Verdammt, so einen abscheulichen Albtraum hatte sie ja schon ewig nicht mehr gehabt! Ein riesiger räudiger Hund mit rot glühenden Augen und triefenden Lefzen war ihr nachgehetzt. Noch jetzt hörte sie das gierige Hecheln, roch den faulen Atem, der schon ihren Nacken streifte. Sie hatte versucht, sich in den Diana-Tempel zu retten, wollte die Tür zuschlagen. Aber sie schaffte es einfach nicht. Mit wütendem Knurren sprang der Hund sie an. Dann war sie in die Gruft gefallen – gefallen, gefallen, gefallen – und aufgewacht. Gott sei Dank! Gerade im richtigen Moment!
Als die Kirchenglocken der Gemeindekirche sie am nächsten Morgen weckte, war die Lampe noch an. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis sie wieder eingeschlafen war. Valentina drehte sich um und zog das Kissen übers Gesicht. Mussten die denn jeden Sonntag so früh bimmeln? Aber an Schlafen war nicht mehr zu denken, in ihrem Kopf stoben die Gedanken. Phil hatte recht, sie sollten sich diese handschriftlichen Aufzeichnungen der Gräfin ansehen. Wenn sie Glück hatten, war Arnold heute im Archiv. Er würde sie bestimmt reinlassen. Sie tauchte unter dem Kissen auf und starrte zur Decke. Aber welches Märchen sollten sie ihm auftischen? Verdammt, das war gar nicht so leicht! Sie schloss die Augen und überlegte fieberhaft. Endlich kam ihr die rettende Idee. – Was, wenn sie angaben, dass Dorian ein EU-Austauschschüler war, die Schule nahm doch an dem Programm teil. Aber woher? Sie biss sich auf die Lippen. – Am besten aus Frankreich, weil er doch so viele französische Brocken verwendete. Ja, Frankreich war gut! Man konnte doch sagen, dass er in den Ferien ein Referat über die Amalia-von-Treuenstein-Schule machen sollte und noch Material brauchte …
Sie sprang aus dem Bett.
Dorian stand bereits fix und fertig angezogen am Flügel und blätterte in einem Notenheft. Herr Bozzi lag ihm zu Füßen, er sprang auf, als Valentina die Treppe herunterkam. Ein sanftes „Couché“ {1}
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